Von Moerdern und anderen Menschen
Raupach, zweiundfünfzig und überaus erfolgreicher Gastronom, seine Glocke schwingend um Ruhe bat.
«Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen, daß Sie auch heute wieder so zahlreich hier erschienen sind, und eröffne hiermit die vierte ordentliche Versammlung der Bürgerwehr Erlengrund e. V. Mit der Tagesordnung ist sicherlich jeder der verehrten Anwesenden einverstanden… Danke! Ja, dann kann ich also meiner Frau das Wort erteilen zu ihrem Bericht über unsere Aktivitäten in den letzten fünf Wochen.»
«Gab’s denn da welche?» fragte Dr. Neumann, ungefähr so alt wie Raupach und Apotheker.
«Lieber Herr Dr. Neumann, gedulden Sie sich doch bitte solange, bis wir die allgemeine Aussprache über den Bericht meiner Frau beginnen. – Bitte, Erika!»
Erika Raupach hustete noch einmal kräftig und begann dann: «Sehr verehrte Mitstreiter der Bürgerwehr Erlengrund. Ich will mich kurz fassen. Meinem Mann und mir ist es – zusammen mit den anderen aktiven Mitgliedern natürlich – inzwischen gelungen, einen täglichen, das heißt, eigentlich einen nächtlichen Streifengang einzurichten, und zwar regelmäßig jeden Tag von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Zwei Mann und ein Schäferhund. An Gerät und Waffen wurden zu diesem Zweck angeschafft: zwei Gaspistolen, ein Regenmantel, zwei Funkgeräte, sogenannte Walkie-Talkies, und drei…»
Dr. Neumann ging dazwischen. «Das ist doch alles ein Witz, gnädige Frau! Wie erklären Sie sich denn die Liste, die ich hier zusammengestellt habe: zwei Kellereinbrüche, vier Autos aufgebrochen, drei unbefugte Übernachtungen, ein Motorraddiebstahl, vier Belästigungen von Frauen und Mädchen, fünfmal ruhestörender Lärm durch motorisierte Rockerbanden, drei zerstörte Straßenlaternen, fünf umgeworfene oder umgedrehte Straßenschilder… Und das alles innerhalb von fünf bis sechs Wochen in einem relativ begrenzten Areal!» Rufe der Empörung drangen zu ihm herüber und bestärkten ihn in seiner Haltung. «Nun, Herr Vorsitzender, was gedenken Sie da zu tun? Nun, Herr Raupach?»
Raupach war ein viel zu erfahrener Diskussionsleiter, als daß er Wirkung gezeigt hätte. «Ihre Bilanz, Herr Dr. Neumann, ist erschreckend – in der Tat. Und leider muß ich Ihnen recht geben. Die Zeiten sind vorbei, wo unsere Frauen nachts unbehelligt nach Hause kommen konnten und wir nicht gezwungen waren, quasi eine Festungsmauer im unseren Erlengrund zu ziehen.»
Dr. Neumann lachte. «Das wäre auch keine Lösung mehr, seit ein Krimineller mitten im Erlengrund wohnt!» Diesmal rumorte der Saal noch stärker.
«Zu Markulla kommen wir später», sagte Raupach.
«Darum wollte ich auch gebeten haben.»
Raupach hielt sich an die alte Erkenntnis, daß die eigene Redezeit von keinem anderen genutzt werden kann, und legte los: «Vielen Dank, verehrter Dr. Neumann, vielen Dank, Erika. Ja – um wieder da anzuknüpfen, wo ich aufgehört habe… Unsere Polizei ist ja längst nicht mehr in der Lage, uns zu schützen (Beifall) – das muß hier mal gesagt werden, leider. Nichts gegen die einzelnen Beamten, aber die Führung, die Führung! (Zustimmung im Auditorium.) Drei Anträge auf verstärkte Streifen abgelehnt: Personalknappheit, Sparhaushalt, woanders wär’s dringender. Erst als ich dann als Stadtrat… Nun fahren wenigstens zwei neue Beamte hier rum. Und…? Nichts; Wirkung gleich null! Trau’n sich doch alle nicht, mal hart durchzugreifen… Kunststück. Tun sie’s, haben sie gleich ‘n Verfahren am Hals. Das Gesocks, das wird ja dauernd gehätschelt hier, anstatt daß man dem mal kräftig auf die Finger haut (Beifall) – mal kräftig, ob das nun Ausländer, Rocker oder Kriminelle sind. Da ist ja keiner mehr selber schuld, immer nur das Elternhaus und daß sie von uns dazu gebracht worden sind. Ich kann den Unsinn schon nicht mehr hören! (Starker Beifall.) Unsere Gefängnisse sind ja reinste Sanatorien – anstatt die Kerle für immer aus dem Verkehr zu ziehen, bläst man ihnen auch noch Zucker in den Arsch… (Starke Zustimmung.) Verzeihung, meine Damen, aber so ist es nun mal!»
«Die Konsequenzen, Herr Raupach, die Konsequenzen!» rief Dr. Neumann.
Raupach bekam auch jetzt die Kurve. «Ganz recht, lieber Dr. Neumann, die Konsequenzen. Wir müssen selber Deiche bauen, hier im Erlengrund, selber, damit die Woge der Kriminalität uns nicht auch noch überrollt. Der Erlengrund darf kein Klein-Chicago werden! (Starker Beifall.) Und dafür müssen wir alle Opfer
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