Von Namibia bis Südafrika
die Füße, klopfte mir den Sand ab, und Eberhard übernahm die Vorstellungsrunde.
Ich bat den Heiler, ob wir ihm bei seiner nächsten Behandlung über die Schultern schauen dürften. Er sah mich lange an, wandte sich wortlos ab und schlurfte Richtung Bottle Store davon.
„Heißt das Ja oder Nein?“, fragte ich Eberhard.
„Es heißt Nein. Nein bedeutet, wir müssen verhandeln“, antwortete er.
Wir folgten Matheus Mutindi Kuvare zum Bottle Store. Vor dem Laden setzten wir uns auf eine Bank. Wahrscheinlich sahen wir aus wie die alten Männer, die in „Asterix auf Korsika“ vor dem Dorf hocken und ihre Kommentare über Gott und die Welt abgeben. Jedenfalls strömte viel Volk herbei und fand es lustig, während Dr. Kuvare eine Rede hielt, von der ich nichts verstand.
„Er will Geld“, übersetzte Eberhard von Koenen.
Dagegen war nichts einzuwenden. Das System traditioneller Heilung funktioniert so: Alle, die kein Geld haben, müssen nichts bezahlen. Die anderen bezahlen mehr. Und für afrikanische Verhältnisse waren wir natürlich reich. Trotzdem schwieg ich. Auch das gehörte zur Verhandlung.
Im Schwarzwald, meiner Heimat, gab es bis Anfang des 20. Jahrhunderts die Heiler des Waldes, die man „Sympathiedoktoren“ nannte. Das waren Bäuerinnen und Bauern, deren Wissen über Kräuter und Heilpflanzen häufig die letzte Hoffnung kranker Menschen in den abgelegenen Gehöften war. Sie heilten durch „Sympathie“, also durch Anteilnahme und durch Handauflegen. Diese Praktiken finden wir noch heute bei Gesundbetern und Schamanen in Asien, Afrika und Südamerika. Es ist dem Pfarrer, Volkskundler und Revolutionär Heinrich Hansjakob zu verdanken, dass wir noch etwas über die Sympathiedoktoren wissen. In seinem 1888 erschienen Buch „Wilde Kirschen“ widmete er ihnen einige Kapitel. Um über sie schreiben zu können, nahm er beschwerliche Fahrten in das damals kaum zugängliche Gebirge auf sich. Er hielt die Leistungen der Sympathiedoktoren fest, „weil sie in manchen Fällen mehr Erfolg hatten als die studierten und examinierten Mediziner“. Diese Einsicht ist erstaunlich, da sich die Kirche ansonsten nicht mit Verständnis für Hokuspokus dieser Art auszeichnet. Das war auch Hansjakob klar: „Man wird natürlich sagen, es sei eine Schande, dass ein katholischer Pfarrer dem Aberglauben das Wort redet.“ Und obwohl ihm deshalb der Wind kalt ins Gesicht blies, blieb Hansjakob Zeit seines Lebens ein Querdenker in Sachen alternative Heilung. Einer wie er würde der Kirche auch heute gut zu Gesicht stehen: „Wenn man mit Kopfschütteln und Unglauben die Dinge, welche man nicht begreift, aus der Welt schaffen könnte“, schrieb er, „gäbe es schon längst keinen Gott und kein Geheimnis mehr.“
Heinrich Hansjakob stammte aus Haslach im Kinzigtal, und meine Großmutter, selbst eine Haslacherin, hatte ihn noch gekannt. Immer wieder hatte sie mir von dem „riesenhaften Kerl in der schwarzen Soutane und mit dem Schlapphut der badischen Revolutionäre auf dem Kopf“ erzählt. Mich faszinierten seine Berichte über eine Heilkunst, die im anbrechenden Chemiezeitalter verloren gegangen ist.
„Geld ist okay“, sagte ich nach der gebührenden Pause. „Wie viel soll's denn sein?“
„Das weiß er nicht“, sagte Eberhard. „Es kommt darauf an. Man wird sehen.“
Wer in Afrika unterwegs ist, darf sich nicht über so manche kryptische Aussagen wundern. Eine Zeit lang schwiegen wir wieder. Ich genoss es, an diesem Ort am Ende der Welt zu sein, zu dem Bruce Chatwins berühmte Frage passen würde: „Was zum Teufel mache ich hier?“ Warum ich ein Faible für solche Plätze habe, weiß ich nicht. Aber ich bin gerne irgendwo, wo mich das Gefühl überkommt, dass die Zeit stehen geblieben ist. Genau das passierte, die Zeit blieb einfach stehen – und das sagt einer, dessen Vorfahren als Schwarzwälder Uhrmacher sich der Versklavung der Menschheit durch die Erfindung des mechanischen Weckers verdient gemacht haben. Ich kann nicht sagen, wie lange unsere Meditation vor dem Bottle Store dauerte, aber irgendwann ergriff Dr. Kuvare das Wort.
„Er meint, es geht in Ordnung“, übersetzte Eberhard.
„Du darfst zusehen.“
Ich weiß nicht, was den Ausschlag für den plötzlichen Sinneswandel gegeben hatte. Der Heiler erhob sich, und wie auf Befehl traten fünf Himba-Frauen heran, darunter die schöne Fee von vorhin. Dr. Kuvare signalisierte uns, ihm in den Bottle Store zu folgen. Wir drängelten uns in den Laden
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