Von Namibia bis Südafrika
unterwegs, weil dieses Wetter in Deutschland von September bis Mai anhält.
„Wie alt ist er?“
Ich hatte einen Punkt über dem Lenkrad fixiert, irgendwo am Ende der Suppenschüssel, und steuerte tagträumend auf ihn zu. Rolf riss mich aus den Betrachtungen über die Eigenarten unseres Daseins.
„Neunzig“, antwortete ich. „Schreib's dir auf.“
„Kaum zu glauben.“
Er hatte Recht. Trotz seines Methusalemalters führte Eberhard von Koenen noch immer das Leben eines Abenteurers. Um ihn zu treffen, mussten wir über Omaruru fahren, ein Städtchen im Herero-Gebiet. Auch hier hatten deutsche Missionare und Kolonialherren ihre Spuren hinterlassen. Der Missionar Gottlieb Viehe übersetzte 1874 in Omaruru das Neue Testament in die Herero-Sprache, was zur Folge hatte, dass die meisten Herero den christlichen Glauben annahmen. Was Hauptmann Viktor Franke von der deutschen Schutztruppe 30 Jahre später nicht daran hinderte, unter ihnen ein furchtbares Gemetzel anzurichten. Im schlauen Buch, welches ich bei mir trug, stand: „Seit 1936 gibt es in Omaruru elektrisches Licht. Seither hat sich wenig verändert.“ Mich beschlich das Gefühl, dass der Autor dies als Nachteil empfand. Mir ging es anders. Von der ersten Minute an schloss ich Omaruru ins Herz. In seinen wenigen Straßen waren Menschen unterwegs, die beneidenswert gelassen wirkten. Ich schlenderte durch das Städtchen und freute mich an den vielen rostfreien und bunten VW-Käfern. Als ich ein Schild mit der Aufschrift „Dampfbäckerei“ sah, trat ich ohne Zögern ein. Das war ein Fehler, denn das Innere des Ladens nahm eine Theke ein, in der neben Käsekuchen, Linzertorte, Frankfurter Kranz und zahlreichen anderen Köstlichkeiten eine ausgewachsene Schwarzwälder Kirschtorte stand. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, und obwohl ich mir geschworen hatte, dass kein Leopard der Welt mehr über mich lachen sollte, nur weil ich ein paar Pfunde zuviel auf die Waage brachte, sprach ich die unvermeidlichen Worte aus.
„Ist die echt?“, fragte ich die Dame hinter der Theke, die dank ihres Leibesumfangs auch für Freude unter den schlauen Katzen gesorgt hätte.
„So echt wie Sie und ich“, antwortete sie.
„Erzählen Sie mir nichts über Schwarzwälder Kirschtorten “, sagte ich. „Hier steht ein Experte vor Ihnen. Geben Sie mir ein Stück. Nicht zu klein.“
Sie gab mir ein Stück, und es war nicht zu klein. Was soll ich sagen? Das war verdammt noch mal die beste Schwarzwälder Kirschtorte, die ich jemals in Afrika gegessen hatte. Es war auch die erste Schwarzwälder Kirschtorte, die ich in Afrika gegessen hatte. Die verständnisvolle Dame gab mir noch ein Stück, natürlich nicht zu klein, und so ging es weiter, bis ich die Torte verputzt hatte. Danach wankte ich die Frankestraße zum Franke-Turm hoch. Mir war schlecht, und ich wusste nicht, ob es von der Torte kam oder von dem Gedanken, dass dem elenden Herero-Mörder mit Straßennamen gehuldigt wurde.
Mittlerweile wechselt die Regierung Namibias nach und nach die deutsche Beschilderung von Straßen und Plätzen aus, und ich habe manchen Landsmann, bei dem noch immer der tausendjährige Kalender im Herrgottswinkel hängt, darüber klagen hören. Ich dagegen habe nicht die geringste Lust, in Afrika durch eine Bismarckstraße zu spazieren, den Moltkeplatz zu überqueren, um dann in die Adolf-Krupp- Straße einzubiegen.
Der Nachmittag rückte heran und Rolf schlug vor, im Hotel Staebe Kaffee zu trinken.
„Ich habe gehört, die haben prima Kuchen“, sagte er. „Schwarzwälder Kirschtorte soll es auch geben. Was sagst du dazu?“
„Dazu sage ich ›Nein danke!‹“, antwortete ich. „Geht ihr nur mal alleine, ich kaufe solange ein.“
Für diese Selbstlosigkeit erntete ich erstauntes Kopfschütteln. („Ist er krank? Verzichtet auf Schwarzwälder Kirschtorte. Er ist krank!“). Ich zog los, um unsere Besorgungen zu erledigen. Wir hatten vor, zum Brandberg zu fahren, mit 2574 Metern der höchste Gipfel Namibias. Dort im Damaraland – eine steinige Wüstengegend, die sich nördlich von Walvis Bay bis nach Angola zieht – wollten wir einen berühmten traditionellen Heiler treffen. Zuvor stand der Abstecher zu Eberhard von Koenen auf dem Plan, dem sagenumwobenen Arzt, Heilpraktiker, Maler, Buchautor und besten Kenner der Heilpflanzen Namibias.
„Wie alt, sagtest du?“, fragte Rolf.
„Neunzig Jahre!“, antwortete ich, und fuhr durch ein Schlagloch, um sein Erinnerungsvermögen
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