Von Natur aus kreativ
optische Signale. Der Grund hierfür liegt in den unterschiedlichen Verarbeitungsmechanismen von optischen und akustischen Signalen. Und trotzdem verwischt dieser Unterschied im Gehirn. Warum? Die Grenze der zeitlichen Auflösung im Gehirn liegt bei 30 bis 40 Millisekunden. Alles, was innerhalb dieser Zeit an Signalen eintrifft, wird deshalb als gleichzeitig erkannt. Die Ungenauigkeit ist ein großer Vorteil für die Übersichtlichkeit. Denn so kann das Gehirn Verbindungen zwischen den vermeintlich gleichzeitig eintreffenden Informationen herstellen. Ansonsten würde es in Einzelinformationen ertrinken.
Im Rahmen dieser Reaktionszeitenmessung haben wir unter anderem Squashspieler untersucht, auch die weltbesten. Einer davon war der Australier Geoff Hunt, der damalige Weltmeister, der, so besagten es unsere Testergebnisse, im Millisekundenbereich deutlich langsamer reagierte als der Pakistani Jahangir Khan, auch einer der Weltbesten. Aber auch wenn Geoff Hunt nicht der Schnellste war, so war er doch der Präziseste. Er konnte im Labor mit einer Varianz von zwei Millisekunden auf akustische Reize reagieren – so langedauert gerade mal das Aktionspotenzial einer Nervenzelle. Hunt spielte präzise wie eine Maschine, ein fast übermenschliches Phänomen. Präzision ist im Squash mindestens genauso wichtig wie Schnelligkeit. Und da auch ich die angeborene Fähigkeit zum präzisen Spiel besitze und diese mit dem Alter nicht verloren geht, sah ich hier einen Vorteil gegenüber den schnelleren Studenten. Ich wechselte zunächst einmal klassisch von hohen und kurzen Bällen, um das Spiel zu verlangsamen. Hierauf aufbauend überlegte ich mir ein paar Tricks aus der Psychologie, um meine Gegner zu verwirren und zu verunsichern, sie zu Leichtsinn und aggressiver Spielweise zu verführen. Heute ist diese Art von psychologischem „Matchplan“, wie es Thomas Tuchel, der Trainer des Bundesligisten FSV Mainz 05, ausdrückt, eher normal. Damals habe ich es als kreativ empfunden, meine armen Studenten mit Tricks zu besiegen, die mir als Psychologe vertraut waren, ihnen aber nicht.
Mir war nach den Labortests zudem klar, dass man beim Squash nicht nur nach dem Ball schauen, sondern auch nach ihm hören muss. Wie schon angemerkt, verarbeitet das Gehirn akustische Reize schneller als optische. Also gewinnt man einen Vorteil, wenn man sich auch auf die Töne konzentriert. Von denen kommen beim Ballwechsel einige zustande: der Aufschlagston am Schläger und der Aufprallton an der Stirnwand. Daraus lässt sich, zusammen mit den optischen Signalen, die Flugbahn des Balles berechnen und ein winziger zeitlicher Vorteil herausschlagen. Der ist wichtig, um rechtzeitig dort zu sein, wo der Ball aufkommen wird.
Doch alle Überlegungen zu psychologischen Tricks und schneller verarbeiteten akustischen Signalen hätten kein erfolgreich bestrittenes Spiel herbeiführen können, wenn ich mich nicht getraut hätte. Ohne den Mut und die Gelassenheit, sich den Jüngeren zu stellen und die sportliche Niederlage einzukalkulieren, hätte sich die Kreativität in der Spielgestaltung nicht ausgezahlt. Ohne den Mut, sie umzusetzen, ist die Idee leider nichts wert ist. Was aber ist eigentlich „Mut“? Es ist die Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten oder auch nur herausfordernden Situation seine Angst oder seinen inneren Widerstand zu überwinden. Auch die grundsätzliche Bereitschaft, angesichts von zu erwartenden Nachteilen das zu tun, was man für richtig hält, wird als mutig bezeichnet. Hormonell gesehen erfordert mutiges Handeln einen Anstieg des Testosteron- und ein Sinken des Cortisolspiegels. Doch Mut ist nicht einfach nur ein Drauflosstürmen, sondern setzt Risikobewusstsein voraus. Man wägt die Risiken und die Vorteile gegeneinander ab und antizipiert denerfolgreichen Ausgang. Der wird dann mit einem Dopaminausstoß eingeleitet, was sich als ein Gefühl der Belohnung und der Befreiung bemerkbar macht.
Deswegen ist es auch wenig erfolgversprechend, wenn man im stillen Kämmerlein kreative Ideen ausbrütet und sich damit nicht nach draußen traut. Eine kreative Leistung hat auch etwas von einer Selbstoffenbarung, dazu gehört Mut. Man zeigt etwas, das in einem schlummert, es wird nicht nur die Leistung bewertet, sondern immer auch die Persönlichkeit. Mut und Kreativität bilden eine wichtige partnerschaftliche Koalition, um größere und kleinere Ziele zu verfolgen.
Mut hat zum Beispiel Christa Maar aufgebracht, als sie sich traute,
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