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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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ist der Ausführende, also derjenige, der die verschiedenen Rollen einnimmt. Die Erinnerung bildet das Auftragsbuch des Auftraggebers, sie bildet den Kitt zwischen den unterschiedlichen Rollen, Denkweisen, Zielen und Wünschen, die ein Mensch in seinem Leben einnehmen kann, und sie befördert so das Gefühl der Identität.
    Der Kitt zwischen verschiedenen Persönlichkeiten lässt sich verstärken, und zwar mithilfe der Introspektion. Bilder bilden unsere Autobiografie. Doch werden sie nur dann im Langzeitgedächtnis gespeichert, wenn sie mit starken Emotionen einhergegangen sind. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass eine Introspektion des gerade erlebten Tages das Einspeichern der inneren Bilder erleichtert. Man gestaltet mit ihnen einen festen Ankerplatz des Selbst und festigt somit seine personale Identität. Denn diese wird wesentlich dadurch getragen, sich selbst in seiner eigenen Vergangenheit sehen zu können.
    Identität ist also auch eine kreative Leistung. Die Welt um uns herum fließt genauso in die eigene Identität ein wie das, was sich im Innern abspielt. Mit diesen Faktoren zu spielen und je nach Situation einzelne Rollen herauszustellen und andere auf ein Minimum herunterschrauben, basiert auf Kreativität. Aber wir haben gesehen, dass wir das nicht immer freiwillig tun. Und so macht der „Zwang zur Kreativität“ nicht einmal vor unserem eigenen Selbst halt.

„Menschen sind für das, was sie tun, auch für ihre Überzeugungen und Emotionen, in einem gewissen Grade verantwortlich“
    Ein Gespräch mit Julian Nida-Rümelin

    Was die alten Philosophen mit dem Thema Identität verbindet, taucht in diesem Buch häufiger auf. Doch was sagt wohl ein heutiger Philosoph dazu, der auch selbst verschiedenen Rollen und Identitäten verhaftet ist? Der „identitätsreichste“ Philosoph, den wir kennen, ist Julian Nida-Rümelin. Er ist Inhaber eines Lehrstuhls für Philosophie an der LMU in München. Darüber hinaus ist er politisch tätig und war Staatsminister für Kultur, in den Jahren 2000 bis 2002 unter der Regierung Schröder. Er ist ein Anhänger „oraler Philosophie“, einer Philosophie des mündlichen Austausches, nicht lediglich des geschriebenen Textes, wie er sagt, und bringt philosophische Gedanken in den Alltag der Menschen.
    Seine Herkunft hat ihn eher künstlerisch geprägt, vor allem durch seinen Vater, den Bildhauer Rolf Nida-Rümelin. „Er hat mit Brettern eine kleine Wohnung von seiner Werkstatt abgeteilt, da lebten wir.“ Sein Vater war außerdem der Neffe von Angelika Aurora Rümelin. Und mit der hat es Folgendes auf sich. Ein Vorfahre des Hotelbesitzers Sacher war ihr verfallen und schrieb eine Novelle über sie, die ein Bestseller wurde: „Venus im Pelz“. Die Geschichte einer Frau, die Lust darin fand, Männer zu erniedrigen, denen dies auch noch gefiel. Da der Autor Leopold von Sacher-Masoch hieß, stand sein Name plötzlich Pate für den Begriff Masochismus als Bezeichnung für die Lust an sexueller Erniedrigung. Und nun ist diese Geschichte eine weitere bunte Facette im episodischen Gedächtnis des Philosophen. Fragen wir ihn jetzt also zur personalen Identität.
    Wagner: Auf den vorangegangen Seiten wird beschrieben, wie jemand inmitten verschiedener Rollen seine Identität sucht. Wie stehen Sie dazu? Kann man mehrere Identitäten haben, je nach Umfeld?
    N ida-Rümelin: Ja. Diese Erfahrung machen viele Menschen, die Teil unterschiedlicher kultureller Gemeinschaften waren oder sind. Es sind zum Beispiel bikulturelle Erfahrungen, die zu einem Identitätsswitch führen können. Man beobachtet sich selbst und ist überrascht, dass man sich in der einen Gemeinschaft ganz anders verhält als zuvor in der anderen. Wertungen, auch Überzeugungen können sich durch den unterschiedlichen Umgang ändern. Dies allerdings ist nicht ein bloßes Faktum, sondern eine Herausforderung: Wie können diese unterschiedlichen „Identitätsausführungen“ wieder so weit in eine Persönlichkeit integriert werden, das die betreffende Person sich mit sich selbst im Reinen fühlt?
    Wagner: Und wie kommt man damit klar, wenn man gegensätzliche Werte und Wünsche in sich trägt?
    Nida-Rümelin: Das Entscheidende scheint mir zu sein, dass divergierende Wünsche nicht zu einer widersprüchlichen Lebensform führen. Daher muss ich herausfinden, wie ich die jeweiligen Wünsche bewerte. Was ist mir wirklich wichtig? Wenn ich beispielsweise einerseits Hunger habe, es mir aber andererseits wichtig ist

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