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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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weitere Nebenbaustellen eröffnet. Das Problem A, über das man sich unterhalten wollte, ist am Ende des Gesprächs zu Problem B geworden. Man redet aneinander vorbei – und der Partner wird völlig verrückt, weil er nicht mehr weiß, worüber man spricht.
    Zu den Symptomen der Schizophrenie, der paradigmatischen Form der Psychose, gehören formale Denkstörungen, die den Denkablauf beeinträchtigen. Dabei fehlt eine straffe Ausrichtung auf eine Zielrichtung, und das Denken hat für Außenstehende keinen logischen, verständlichen und nachvollziehbaren Zusammenhang mehr. Eine solche Denkzerfahrenheit ist die extreme Ausgestaltung davon, dass es nicht gelingt, die Identität von etwas über die Zeit hinweg zu bewahren und festzuhalten.
    Damit eine Realität aber von mehreren Menschen geteilt werden kann, benötigen diese einen gemeinsamen Bezugspunkt. Darauf basiert unsere Erwartung, dass im Aussehen eines Menschen, in den Gefühlen, die jemand anderes uns entgegenbringt, in seinen Einstellungen Kontinuität herrscht. Wenn sich jemand in einer bestimmten Weise zeigt, erwarten wir, dass er dies auch weiterhin so tun wird. Dies entspricht der Ökonomie des menschlichen Gehirns.
    Hat man hingegen keinen gemeinsamen Bezugspunkt mehr, kann man nicht mehr sinnvoll miteinander sprechen – oft auch, was die unterschiedlichen Vorstellungen von Moral angeht. Wenn der König unserer Geschichte in einer Welt zu Hause ist, in der Geschenke gegen politische Vergünstigungen getauscht werden und dies völlig normal ist, wird er nicht mehr von seinen Untertanen verstanden, die ihre Hotelübernachtungen, Urlaubsreisen oder Upgrades in eine bessere Flugklasse aus eigener Tasche zahlen müssen. Sie schreiben ihm zu, unmoralisch zu handeln.
    Wie aber erkennen wir, dass eine Handlung unmoralisch ist? Hierzu fanden an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Studien statt, in denen mit bildgebenden Verfahren untersucht wurde, wie sich moralische Urteile im Gehirn abbilden. Das technologische Verfahren der funktionalen Magnetresonanztomografie (fMRT) sieht jedoch vor, dass eine Untersuchung immer mit einer anderen verglichen werden muss. Nur im Vergleich kann eine fMRT ein Ergebnis hervorbringen. Als vergleichende Untersuchung wählten die ForscherFragen aus dem Bereich der Ästhetik. Es wurden also die Reaktionen des Gehirns auf moralische Fragen (etwa „Ist eine Person grausam, wenn sie aggressive Gedanken gegenüber dem eigenen Kind hat?“) mit denen auf ästhetische Fragen („Ist die Gedichtszeile ‚Wer reitet so spät durch Nacht und Wind‘ aus dem ‚Erlkönig‘ schön?“) verglichen.
    Das Ergebnis der fMRT-Untersuchungen: Ästhetische und moralische Urteile aktiveren im Gehirn jeweils das gleiche raumzeitliche Muster. Die leitenden Wissenschaftler Evgeny Gutyrchik und Mihai Avram konnten zeigen, dass der wesentliche Unterschied in der Quantität der Aktivierung besagter Areale liegt. Bei moralischen Urteilen sind manche der Hirnregionen etwas intensiver aktiv als bei ästhetischen Urteilen. Zusätzlich werden bei moralischen Urteilen noch ein paar weitere Hirnregionen zugeschaltet. Offenbar ist bei moralischen Fragen die Außenperspektive ausgeprägter, und man denkt stärker über das Problem nach als bei ästhetischen Fragen, die sich unmittelbar in einem emotionalen Bezug äußern. Doch es ändert nichts daran, dass die beteiligten Hirnregionen dieselben sind.
    Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, sind ästhetische Urteile meist nicht wohlüberlegt. Häufig findet man etwas einfach schön oder nicht schön. Kant beschreibt solche Phänomene in der „Kritik der Urteilskraft“ als nicht reflektierte Urteile. Man muss nicht darüber nachdenken, wird einfach in die Entscheidung hineingezogen und ist von ihr betroffen. Ein Sonnenuntergang in den Alpen: einfach schön. Ein altes toskanisches Dorf im Morgenlicht: einfach schön. Ebenso: ein Strauß wilder Blumen, die bunten Fenster einer gotischen Kathedrale, der Anblick eines geliebten Menschen. Und genauso, wie wir in solchen Fällen untrüglich wissen, ob uns etwas gefällt, wissen wir in moralischen Fragen, ob etwas richtig oder falsch ist. Und weil dieselben Hirnregionen angesprochen werden, empfinden wir eine moralisch richtige Handlung als schön, etwas moralisch Verwerfliches als hässlich. Dass dieselben Hirnareale angesprochen werden, erklärt auch, warum wir bei beiden Formen des Urteilens so schnell und aus dem Bauch heraus wissen, ob wir etwas als richtig

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