Von Natur aus kreativ
wirkt nur kurzfristig. Man gelangt ins Gleichgewicht zurück – und ist wieder offen für den nächsten Fehltritt oder die nächste Sünde. Von einer Bußhandlung ist keine lebenslange Verhaltensänderung zu erwarten. Doch immerhin erzeugt sie Selbsttransparenz. Man entwickelt Sensitivität für sich selbst und merkt beim nächsten Mal eher, dass man auf den schiefen Weg gerät. Die kreative Leistung dabei: Ich gehe den Weg, der mir genehm ist.
Mehr zum neurologischen Ursprung von Gut und Böse weiß der Neuroethiker James Giordano aus Virginia zu berichten.
Die Neuroethik muss die Verantwortung übernehmen
Ein Gespräch mit James Giordano
Unsere Vorstellungen von Ethik und Moral sind kreativ veränderbar, wie die vorherige Geschichte gezeigt hat. Ist es auch denkbar, dass wir eine ganz neue Ethik entwickeln? Wie entstand eigentlich unser Wissen von dem, was gut und was böse ist? Für diese Fragen ist James Giordano aus dem US-Staat Virginia genau der Richtige. Er ist Neurowissenschaftler, Neurotechniker und Neuroethiker an den Universitäten in Washington, DC, in New Mexico und München, und außerdem Direktor des Center for Neurotechnology Studies am Potomac Institute for Policy Studies in Virginia. Die Neuroethik ist eine neue Forschungsrichtung, die sich unter anderem damit beschäftigt, die Gründe für unsere moralischen Werte und Normen zu suchen. Als sich Giordano aufgrund seiner Fulbright-Gastprofessur am Humanwissenschaftlichen Zentrum der LMU in München aufhielt, äußerte er eine sehr interessante Einsicht: Wir müssen uns kreativ um eine neue Ethik bemühen.
Wagner: Am Potomac Institute for Policy Studies beschäftigen Sie sich mit Terrorismusprävention. Ist der Mensch eigentlich von Natur aus schlecht und moralisch verkommen?
Giordano: Eigentlich weder noch, denn der Mensch funktioniert vor allem ökologisch, es gibt Wechselbeziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt. So macht der Mensch das, was für ihn am besten ist, und das kann sowohl etwas Gutes als auch etwas Schlechtes sein, wenn wir solche Kategorien überhaupt verwenden wollen.
Wagner: Wie erklären Sie sich das?
Giordano: Der Mechanismus, mit dem wir uns etwas bewusst machen oder mit dem wir denken, fühlen und mit Menschen interagieren, liegt immer inneurologischen Funktionen begründet. Diese regulieren unser Körpersystem und stellen gleichzeitig die Beziehungen zu unserer Umwelt her. Aufgrund dieser Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenwelt haben wir im Laufe der Evolution Bewertungsmaßstäbe entwickelt. Was ist gesund und was ungesund? Was ist harmlos und was gefährlich? Was ist richtig und was falsch? Ich behaupte nun: Die prototypischen Verhaltensweisen, die sich in der Umwelt als sinnvoll erwiesen haben, finden sich im Phänotyp wieder, in der Menge aller genetischen Merkmale eines Organismus.
Wagner: Wir sind demnach für die Umwelt optimiert, aber nicht in den Kategorien gut oder böse, sondern in den Kategorien sinnvoll oder nicht sinnvoll. Aber sind wir wirklich so sehr ein Gemeinschaftswesen? Ich empfinde uns eher als Ellenbogenwesen. Survival of the fittest. Ohne Rücksicht.
Giordano: Sie beschreiben jetzt aber die Moral der Wölfe. Tiere besitzen natürlich auch ein Wissen darüber, was für sie richtig und was falsch ist, auch wenn ihnen die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten fehlen. Aber wir sind doch gar nicht so rücksichtslos, wir haben doch Staaten, Gemeinden, Gruppen und Familien, in die wir uns eingliedern. Survival of the fittest, das ist für uns Menschen nicht mehr richtig. Es gilt eher: Survival of the smartest. Denn wir können nicht so gut klettern wie Affen. Nicht so schnell rennen wie Leoparden. Wir haben nicht so viel Muskelkraft, können nicht so gut tauchen und überhaupt nicht fliegen. Also müssen wir kreativ zusammenarbeiten, das ist unsere Natur. Unsere Talente sind unterschiedlich verteilt, doch zusammen können wir viel entwickeln. Deswegen agieren wir auch im Sinne der Gemeinschaft.
Wagner: In der vorangegangen Geschichte haben wir beschrieben, wie sich ein Mensch unrechtmäßig Vorteile verschafft. Dann redet er seine moralisch schlechten Handlungen vor sich selbst auch noch schön. Das ist ein kreativer Verdrängungsmechanismus. Was sagt die Neuroethik dazu?
Giordano: Sich Vorteile zu suchen, gehört zu unserer Natur. Wenn wir dies auch noch aggressiv machen, kann es zu Kämpfen kommen. Deswegen müssen wir ein System haben, um das Zusammenleben zu
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