Von Natur aus kreativ
oder als falsch, schön oder hässlich empfinden. Die Gründe dafür suchen wir meist erst hinterher.
Ein quantitativer Unterschied in bestimmten Arealen führt aber zu einem qualitativen Unterschied, wie die Studie zeigte. Die entscheidende Frage lautet nun: Wie weiß das Gehirn, dass hier ein ästhetisches und dort ein moralisches Urteil gefordert ist? Und damit kommen wir auf kurzem Wege wieder zurückzu unserem König. Wir leben alle in bestimmten Kontexten oder auch „Rahmen“: Vorstellungen darüber, was Zuneigung, Zugehörigkeit, Leistung, Moral, Ästhetik, Nahrungsaufnahme usw. sind oder wie sie üblicherweise ablaufen. Jeder Mensch ist in etwa zehn dieser Kontexte oder Rahmen verhaftet, allerdings nicht immer in denselben. Offenbar erkennt das Gehirn aber dank der eigenen Lebensgeschichte schnell, welcher Kontext gerade relevant ist. Unser König war aus seinem moralischen Rahmen herausgerissen. Und deshalb war ihm gar nicht bewusst, dass er sich in einem moralischen Kontext befand. Bestimmte Merkmale des Geistes wurden nicht „angeschaltet“.
Eine gemeinsame Kultur in einer Gesellschaft zeichnet sich auch dadurch aus, dass viele Kontexte geteilt werden. Es ist zum Beispiel für Westeuropäer schwierig, in einer Kultur zu leben, in der sie nicht ihre individuellen Wünsche und Ziele verfolgen können. In einigen asiatischen Kulturen nimmt sich das Individuum weniger wichtig, maßgeblicher sind hier die Ziele der Gemeinschaft. Einem Chinesen fällt es daher oftmals schwer, seine Einzelleistung herauszustellen.
Gemeinsame Kontexte zu schaffen ist auch die Herausforderung eines gemeinsamen Bildungssystems. Damit man miteinander kommunizieren kann, braucht man die gleiche Sensitivität für verschiedene Kontexte, sprich: die gleichen Wertesysteme. Die Wertesysteme der Menschen in einer Gesellschaft müssen nicht identisch sein, aber sie sollten sich immerhin so weit ähneln, dass eine Verständigung darüber möglich ist.
In dieser Geschichte geht es allerdings nicht nur um Moral und Werte, sondern auch um Kreativität und die innere Balance. Diese Aspekte spielen in dem Moment eine Rolle, in dem der junge König erkennt, dass er in den Augen anderer Schuld auf sich geladen hat, und zurücktritt. Er ist zwar noch seinen vormaligen Äußerungen verpflichtet und sagt, er habe sich stets korrekt verhalten. Doch offenbar plagte ihn eine „Strafsehnsucht“. Dieser gibt er nach, er verzichtet auf Amt, Schloss und Würden und zieht sich in das kleine unbedeutende Dorf zurück, aus dem er gekommen war. Dies ist ein Versuch, das innere Gleichgewicht wiederzufinden.
Wohl jeder hat so etwas schon einmal gemacht: Man hat auf Kosten des Kollegen eine neue Karrierestufe erklommen, und um sein schlechtes Gewissen zu besänftigen, nimmt man sich vor, künftig jeden Sonntag die Eltern mit einem ausführlichen Telefonanruf zu beglücken. Oder man fühlt sich mitschuldig an einem Verkehrsunfall und geht deshalb auf den Jakobsweg. Wersich mit Schuld beladen hat, möchte Buße tun. Das ist auch eine Pointe des Christentums, beschrieben vom Apostel Paulus im Römerbrief Kapitel 7, Vers 19: „Denn ich tue nicht, was ich will, Gutes, sondern was ich nicht will, Böses, das führe ich aus.“ Anders gesagt: Ich kenne das Gute und tue es nicht. Damit lädt man Schuld auf sich. Stabilität wird der christlichen Religion zufolge dadurch gewährleistet, dass man für seine Schuld Buße tut und so wieder zu einer Mitte kommt.
Neurobiologisch gesehen wird das Schuldgefühl hormonell verursacht. Möglicherweise geht es wie eine depressive Verstimmung mit einem gestörten Serotonin-Haushalt einher. Das beste Gegenmittel ist eine Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn, der „reward circuits“. Damit findet man wieder in seine innere Balance zurück und kann das unangenehme Schuldgefühl abbauen. Der Weg dahin wird durch die Kreativität aufgezeigt. Man muss kreativ etwas finden, das einen wieder zur Mitte zurückbringt.
Schuldgefühle zu haben ist also normal. Ebenso, sich innere Entlastung zu suchen. Unser Tipp: Eine entlastende Handlung funktioniert dann am besten, wenn man sie selbst bewusst auswählt und durchführt, ohne dass man sich etwas vormacht. Auch ist eine von außen vorgegebene Buße weniger erfolgversprechend. Möglichkeiten zu entlastenden Handlungen gibt es viele. Sie bestehen meist darin, dass man unangenehme oder anstrengende Tätigkeiten erledigt oder angenehme Tätigkeiten meidet.
Der biologische Effekt
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