Von Natur aus kreativ
trägt sein relevantes Wissen im Gehirn zusammen; dann kommt es zu einer Phase der „Inkubation“: Es denkt in einem; wenn man Glück hat, kommt es dann zur Erleuchtung, einem Heureka-Erlebnis, wie es der griechische Mathematiker Archimedes beschrieben hat – doch damit ist der Prozess noch nicht beendet; nun gilt es aktiv zu verifizieren, was einem im vorherigen kreativen Prozess eingefallen ist; und wenn diese Bestätigung auf der expliziten Denk-Ebene erfolgreich war, dann sollte man zur Innovation schreiten und den kreativen Gedanken umsetzen, ihn ausbeuten.
Francis Bacon: Neues Organon, Hamburg: Meiner 1990 (zuerst 1620: Novum Organum).
Für Forscher – und nicht nur für sie – ist das „Neue Organon“ eine wichtige Lektüre: Der Text ist ein Markstein für den Aufbruch der modernen Wissenschaft, da man hier mit möglichen Fehlern des eigenen Denkens vertraut gemacht wird. Aber: Fehler können kreatives Denken auch erst anregen; eine falsch verstandene Theorie, ein sprachliches Missverständnis können Ausgangspunkte für Einfälle sein. Was sind die Fehler, auf die Francis Bacon hinweist? Wir machen Fehler aufgrund unseres evolutionären Erbes, weil wir Menschen sind; wir machen Fehler aufgrund unserer individuellen Prägungen und Vorurteile; wir machen Fehler, weil wir das, was wir denken und glauben, nicht angemessen in Sprache ausdrücken können; und wir machen Fehler, weil wir Theorien mit uns herumtragen und anwenden, die uns oft gar nicht bewusst sind – wir wissen häufig gar nicht, dass wir theoretisch „durchseucht“ sind. Neben diesen warnenden Hinweisen beschreibt Francis Bacon die Methode der Induktion, wie wir also auf der Grundlage vieler konkreter Beobachtungen zu allgemeinen Schlussfolgerungen kommen. Wissenschaftliche Kreativität beruht ganz wesentlich auf Induktionskompetenz, und hierfür ist Charles Darwin eines der besten Beispiele.
Yan Bao & Ernst Pöppel: „Two Spatially Separated Attention Systems in the Visual Field. Evidence from Inhibition of Return“, in: Cognitive Processing 8 (2007), S. 37 – 44.
Wenn man umherschaut, dann ist man davon überzeugt, dass unser Gesichtsfeld homogen strukturiert ist; man glaubt, alle Dinge, die in unserem Gesichtsfeld liegen „stufenfrei“ erreichen zu können. Wer käme auf die Idee, etwas so Selbstverständliches wie die Gleichförmigkeit des Gesichtsfeldes in Frage zu stellen? Kreativität in der Forschung zeigt sich aber gerade darin, nicht alles als selbstverständlich hinzunehmen und sich über das Selbstverständliche ganz besonders zu wundern. Worüber man sich also beispielsweise wundern sollte: Warum bleibt die Welt gleich hell, wenn ich sie nur mit dem rechten oder nur mit dem linken oder mit beiden Augen gleichzeitig betrachte? Mit beiden Augen sollte sie doch heller sein, weil mehr Licht aufgenommen wird. Dass unser Gesichtsfeld nicht homogen strukturiert ist, ergibt sich aus den folgenden Beobachtungen: Wenn wir ein neues Blickziel in der Peripherie des Gesichtsfeldes ansteuern, dann kann dieses neue Ziel mit nur einer einzigen Augenbewegung (einer sogenannten Sakkade) erreicht werden, wenn es bis zu zehn Grad Sehwinkel von der Blick-Achse entfernt ist; darüber hinaus benötigt man zwei Augenbewegungen; ab einem Sehwinkel von etwa 30 Grad muss man zusätzlich eine Kopfbewegung machen. Für das Erreichen der jeweiligen Blickziele sind stets bestimmte neuronale Programme erforderlich, und der Zeitaufwand ist bei jeder der drei beschriebenen Situationen sehr verschieden. Dasmag sehr akademisch klingen, und man mag sich fragen, wen das schon interessiert. Es sollte aber jeden interessieren, der Auto fährt. Die verschiedenen Instrumente und Spiegel sind für den Fahrer jeweils mit unterschiedlichem Aufwand zu erreichen. In den rechten Seitenspiegel zu schauen kann in bestimmten Fahrsituationen lebensgefährlich sein, weil es einfach zu lange dauert, dieses Blickziel zu erreichen. Wie schnell wir einer Sache unsere Aufmerksamkeit zuwenden, das hat sich in Yan Baos und meiner Arbeit gezeigt, ist davon abhängig, wo sie im Gesichtsfeld erscheint. Wenn etwas weiter von der Blickachse weg liegt, dann dauert es länger und ist mit mehr Aufwand verbunden, die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken; näher Liegendes kann zügiger wieder in Augenschein genommen werden. Und für das Erreichen dieser unterschiedlichen Blickziele sind jeweils spezifische neuronale Strukturen verantwortlich.
Ellen Berscheid: „Love in the Fourth
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