Von Natur aus kreativ
natürliche Tendenz, Sachverhalte zu ontologisieren, also abstrakte Begriffe zu erfinden, die hauptsächlich der vereinfachten Kommunikation dienen. Mit ihnen reduzieren wir Komplexität, weil wir es gerne einfach haben. Sind diese Komplexitätsreduktionen aber angemessene Repräsentationen der Welt um uns und auch in uns, oder sind sie nur Ausdruck unserer Vorurteile? Dennoch: Wir können gar nicht anders, wir können auf die Begrifflichkeiten nicht verzichten. Auch dies ist unser evolutionäres Erbe.
Jacob Bronowski: The Origins of Knowledge and Imagination, New Haven: Yale University Press 1978.
Was unterscheidet den Menschen von anderen Arten? Bronowski betont, dass nur Menschen Kunst und Wissenschaft entwickelt haben. In diesen entfaltet sich eine besondere Art von Kreativität. Außerdem nennt er einige weitere Unterschiede, die sich auf die Sexualsphäre beziehen, dass beispielsweise nur Menschen sich beim Geschlechtsverkehr einander zuwenden – ich bin mir allerdings nicht sicher, ob dies zutrifft. Die Künste sieht er im Wesentlichen in zwei sensorischen Systemen verankert, nämlich im Sehen und im Hören. Aus diesem Grund haben sich die „Raum-Künste“ (Malerei, Bildhauerei, Architektur) und die „Zeit-Künste“ (Musik, Dichtkunst, Theater) entwickelt. Dass diese Künste unser kulturelles Leben dominieren, steht außer Frage, doch wie verhält es sich mit den anderen sensorischen Systemen wie dem Riechen und dem Schmecken? Ist die Kochkunst nicht auch eine Kunst, und ist sie nicht offen für die Kreativität jedes Einzelnen? Nicht jeder malt Bilder oder spielt Klavier, doch essen müssen wir alle – deshalb bietet es sich geradezu an, das Kochen als einen kreativen Akt zu inszenieren, der nicht nur der Ernährung, sondern dem Speisen dient.
Michael von Brück (Hrsg.): Religion. Segen oder Fluch der Menschheit? Frankfurt (Main): Verlag der Weltreligionen 2008.
Die Beiträge dieser Textsammlung beleuchten verschiedene Religionen kritisch, und zwar Judentum, Christentum, den Islam, Hinduismus und Buddhismus. Bekannte Religionsgründer wie Buddha, Jesus oder Mohammed müssen nicht nur charismatische Persönlichkeiten gewesen sein, sondern waren jeweils auf ihre Weise ungewöhnlich kreativ. Doch niemand wird behaupten können, dass die Verkündigung des Friedens die Menschen indiesen Glaubensrichtungen zu friedfertigen Menschen gemacht hätte, von wenigen individuellen Ausnahmen abgesehen. Was im Rahmen der monotheistischen Religionen und im Namen des jeweiligen Gottes an menschlichem Leid geschehen ist, spricht eher dafür, dass die religiösen Welten ein Korrektiv benötigen. Dieses könnte in der biologischen Natur des Menschen begründet sein. Dass das nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, wird dadurch bestätigt, dass die „Goldene Regel“ in allen Kulturkreisen zu gelten scheint, auch in nicht-religiösen Gesellschaften wie dem Konfuzianismus. Das Buch enthält auch einen Beitrag von mir, in dem ich über die „Versklavung“ des menschlichen Bewusstseins nachdenke und die Meditation als eine Weise beschreibe, sich aus dieser Versklavung zu befreien. Warum versklavt? Aus Gründen des Überlebens müssen unsere Sinneskanäle immer offen sein; wir können gar nicht „abschalten“. Die Meditation, das Gebet, die konzentrierte Hingabe wie in der Liebe sind jedoch Wege, sich aus der Versklavung zu befreien – auch wenn das stets nur für kurze Zeit möglich ist.
Walter B. Cannon: The Wisdom of the Body, New York: Norton & Co. 1932.
Dieses ist eines der grundlegenden Werke, in denen die Bedeutung der Homöostase als biologisches Prinzip hervorgehoben wird. Es geht jedem Organismus seit der Erfindung des Lebens immer nur darum, ein Gleichgewicht sicherzustellen – wir folgen einer „Weisheit des Leibes“. Wenn wir in diesem Buch von Kreativität sprechen, dann gehen wir immer davon aus, dass diese genau jenem Zweck dient: unsere „Mitte“ herzustellen und zu bewahren. Und da man von der Einheit der Natur ausgehen kann, gilt das Prinzip der „Mittigkeit“ oder Harmonie nicht nur für das biologische Gleichgewicht, sondern ebenso für die psychische, soziale, kulturelle oder organisatorische Balance. Kreativität ist der Trick von Mutter Natur, dieses Lebensziel zu erreichen.
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bände, Berlin 1923 – 1929.
Cassirers Werk ist für mich die Verkörperung lebendiger Kreativität, die sich auf der Basis breiten Wissens entfaltet. Wenn
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