Von Natur aus kreativ
und er glaubt, dass es nur diese Themen sind; alles andere und auch alle „neuen“ Themen lassen sich darauf reduzieren. Zu den Inhalten, zu dem, was dargestellt wird, kommt bei jedem Kunstwerk etwas hinzu, das im künstlerischen Prozess steckt: Jedes Kunstwerk ist Ausdruck einer Suche nach generativen Prinzipien wie Ordnung und Unordnung oder Zufall und Notwendigkeit. Jeder Künstler schafft ein Stück Welt, und wie er dieses Stück Welt schafft, gibt Aufschluss darüber, wie die Gegenwart gedacht wird. Künstler sind gleichsam die Antennen, und zwar die sensibelsten Antennen für den jeweiligen Zeitgeist. Deshalb vertritt Ammann die folgenden Thesen: „1. Ich glaube an die Kunst als Forschung. – 2. Ich glaube, dass die Kunst Bilder schafft, die auch unsere Bilder sind. – 3. Ich glaube, dass wir auf die Ideen und Phantasie der Künstler angewiesen sind. […] – 4. Ichglaube an das fundamentale Bedürfnis nach Kunst, nicht als Ersatzwelt, sondern als reale Symbolwelt, in der das Nichtsagbare neben dem Sagbaren gleichwertig steht.“ Er betont, ganz ähnlich wie die Hirnforschung, dass wir auch in Bildern denken und damit neben dem begrifflichen Denken eine zweite Weise des Denkens nutzen. Aufgabe des Künstlers sei es heutzutage, „den Menschen klarmachen, dass wir uns in einer ungeheuren Umwälzung befinden und dass das schöpferische Denken von Gegenwart unabdingbar ist für ein, gelinde gesprochen, Erahnen dessen, was die Zukunft für uns bedeutet.“ Denn im Kunstwerk lassen sich die Regungen der Zeit, der Fußabdruck der Gegenwart ablesen; die Entwicklung der Gesellschaft kann ganz besonders in der Kunst beobachtet werden. Der Künstler ist zwar kein Wissenschaftler, er stellt keine Theorien auf, aber er ist Forscher, und zwar einer, der nicht anders kann – einer, der zur Kreativität verdammt ist.
Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, übers. u. hrsg. v. Olog Gigon, 8. Aufl., München: dtv 2010.
Im zweiten Buch betont Aristoteles die Bedeutung der „Mitte“, und er bestimmt damit eines der zentralen Themen dieses Buches: „Die Mitte im Bezug auf uns ist das, was weder Übermaß noch Mangel aufweist; dieses ist nicht eines und nicht für alle Menschen dasselbe.“ Tugend sei eine Mitte zwischen einem Zuviel und Zuwenig. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Sport; nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Mut. Das Gleichgewicht ist entscheidend, und das gilt vor allem auch für die Kunst und die Proportionen bei Bauwerken. Kreativität ist der Motor, sich immer wieder neu dieser Mitte zu versichern.
Aurelius Augustinus: Confessiones – Bekenntnisse, München: Kösel 1955 (verfasst 397/398).
Das 11. Buch der „Bekenntnisse“ ist immer noch die wichtigste Einführung in die Probleme der „Zeit des Menschen und der Zeit überhaupt“. Und es ist ein Beispiel dafür, wie jemand kreativ und auch emotional mit einer schwierigen Frage umgeht. Was ist überhaupt unser Zugang zu „Zeit“? Augustinus meint, dass man sich der Zeit über das Erleben des Gegenwärtigen nähert und dass Vergangenheit und Zukunft immer Abstraktionen vom gegenwärtigen Erleben („contuitus“ – Anschauung) sind. Vergangenheit ist Erinnerung („memoria“), Zukunft ist Erwartung („expectatio“).
In meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit habe ich versucht, eine experimentelle oder auch anschauliche Bestimmung von „subjektiver Gegenwart“ vorzunehmen. Dabei ist deutlich geworden, dass etwa drei Sekunden die „zeitliche Bühne“, das „Zeitfenster“ des jeweils Gegenwärtigen bilden. Zwar glaubt man selbst zumeist, dass das, was man gerade erlebt, was man also wahrnimmt, erinnert oder fühlt, die Größe der zeitlichen Bühne bestimmt. Dem ist nicht so. Die Bühne ist schon da, unabhängig vom Inhalt des Erlebens, sie ist prä-semantisch bestimmt. Das „Drei-Sekunden-Fenster“ ist eine logistische Funktion des Gehirns, die genutzt wird, um Inhaltliches überhaupt erst möglich zu machen. Diese Betrachtung geht über das von Augustinus entwickelte Konzept von Gegenwart hinaus, der den Unterschied zwischen dem Erlebten selbst, den Inhalten also, und seiner Bedingung der Möglichkeit offenbar nicht machte.
James H. Austin: Chase, Chance and Creativity. The Lucky Art of Novelty, Cambridge: MIT Press 2003.
Der Autor hat sich die Mühe gemacht, einmal zusammenzutragen, wie kreative Prozesse normalerweise ablaufen. Zunächst muss man Interesse an einer Sache haben; ist das gegeben, bereitet man sich vor und
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