Von Ratlosen und Löwenherzen
voll, zogen nach Cambridge und gründeten dort eine neue Schule. Es dauerte nicht lange, bis der gleiche Streit auch dort losging. Doch von ihrer Gründung bis zum Ende des Mittelalters genossen diese beiden und auch andere Universitäten immer den besonderen Schutz der Krone, weswegen sie vortrefflich gediehen.
Das Leben der Frauen auf dem Land änderte sich kaum durch die rechtlichen und gesellschaftlichen Neuerungen, die die normannische Eroberung mit sich brachte. Früher hatten die Väter bestimmt, wen sie heiraten mussten, jetzt mussten die Väter zusätzlich noch die Zustimmung ihres Grundherrn einholen und Geld für dessen Erlaubnis bezahlen. Aber das Ergebnis blieb für sie das gleiche. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts festigten und vereinheitlichten sich die kirchlichen Gesetze, die die Eheschließung regelten, und sie besagten, dass für eine gültige Heirat eigentlich nur das ausdrückliche Einverständnis der Brautleute erforderlich sei. Und natürlich kam es gelegentlich vor, dass ein Paar heimlich durchbrannte und sich im nächsten oder übernächsten Dorf einen Priester suchte, der es traute, aber in aller Regel sah die Realität unverändert so aus, dass Ehen vermittelt wurden. Das war so normal, dass nur selten jemand auf die Idee kam, dagegen zu rebellieren.
Die Stellung der adligen Frau hatte sich im Vergleich zu ihren angelsächsischen Vorgängerinnen verschlechtert. Natürlich konnte eine Tochter, wenn sie keinen Bruder hatte, immer noch eine reiche Erbin sein, aber der König hatte das Recht, sie zu verheiraten. Manchmal verkaufte er dieses Recht auch an den Meistbietenden, denn die Krone war ja für jede Einnahmequelle dankbar. Wurde die reiche Erbin vermählt, ging ihr Vermögen auf ihren Mann über. Ein Drittel des gemeinsamenVermögens stand ihr zu, wenn der Gemahl vor ihr starb, fiel nach ihrem Tod aber automatisch an ihre Söhne oder zurück an die Krone. Sie hatte in aller Regel keine testamentarische Verfügungsgewalt darüber. Sowohl der normannische Eroberer William als auch die Vertreter der Kirche, deren Einfluss unter seiner Herrschaft wuchs, fanden die traditionellen germanischen Frauenrechte, die im angelsächsischen England noch hier und da zu finden gewesen waren, unanständig. Sie waren überzeugt, dass Gott sich das ganz bestimmt nicht so gedacht hatte. Also räumten sie mit diesen anstößigen englischen Sitten auf und sorgten dafür, dass das Weib dem Manne auf Gedeih und Verderb untertan war.
Wie das Verhältnis von Männern und Frauen sich im alltäglichen Leben darstellte, ist nicht ganz einfach zu rekonstruieren. Niemand im 12. Jahrhundert wäre im Traum auf die Idee gekommen, Tagebuch zu führen. Dafür war Pergament viel zu kostbar (das wesentlich preiswertere Papier ließ noch 200 Jahre auf sich warten), und es hätte auch nicht dem Zeitgeist entsprochen, denn der Wert des einzelnen Menschen und seines irdischen Lebens war noch nicht erfunden.
Wir können aber getrost davon ausgehen, dass Männer und Frauen es auch im 12. Jahrhundert schon munter miteinander getrieben haben – ehelich und außerehelich. Das ist nicht nur ein naheliegender Schluss, wenn man bedenkt, dass es nach Einbruch der Dunkelheit praktisch nichts anderes gab, das man tun konnte, sondern auch die erhaltenen Gerichtsakten belegen dieses Bild. Tatsächlich herrschte so reger Verkehr, dass die Bischöfe und Kirchenlehrer der Epoche sich wieder und wieder genötigt sahen, Lehr- und Mahnschriften zu diesem heiklen Thema zu verfassen, die vor allem auch als Leitfäden für die Gemeindepriester gedacht waren, damit die wussten, welche Buße sie ihren verirrten Schäfchen bei der Beichte für welche Sünde aufbrummen mussten. Danach war Sex unter Eheleuten ausdrücklich erlaubt, wenn das Ziel die Zeugung von Nachwuchs oder die Erfüllung der ehelichen Pflichtenwar. Gleiches galt interessanterweise, wenn der Zweck des Paarungsaktes war, drohende Unzucht zu vermeiden. »Wenn etwa ein Mann weiß, dass er in Gesellschaft lasterhafter Frauen sein wird«, schreibt einer dieser klugen Kirchenlehrer, »und fürchtet, ihnen anheimzufallen, ist es ihm erlaubt, sich zuvorbei seiner eigenen Frau abzukühlen.« Eine lässliche – also verzeihliche – Sünde war es, wenn Eheleute nur aus Lust miteinander schliefen. Aber selbst unter Eheleuten konnte Sex eine Todsünde sein, nämlich dann, wenn er zu viel Spaß zu machen drohte, denn »ein Mann, der seinem Weib ein gar zu feuriger Liebhaber ist, kommt einem
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