Von Ratlosen und Löwenherzen
Jenseits.
Opium fürs Volk.
Und was war mit Robin Hood?, werden Sie fragen. Schließlich wissen wir doch alle, dass er zu der Zeit, da König Richard auf dem Kreuzzug war, die Reichen bestahl, um die Witwen und Waisen durchzufüttern, und verhinderte, dass Prinz John mit Hilfe des schurkischen Sheriffs von Nottingham die Krone an sich riss.
Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Dieser Robin Hood hat in einem seriösen Geschichtsbuch nichts zu suchen.
Das hier ist kein seriöses Geschichtsbuch, werden Sie einwenden.
Mag sein, aber es ist jedenfalls ein Buch, das sich auf die belegbaren Fakten beschränkt, halte ich dagegen, und dazu gehört Robin Hood leider nicht.
Dass es einen berühmten Dieb dieses Namens gegeben haben muss, beweist die Tatsache, dass im späten 13. Jahrhundert »Robinhode« offenbar ein Spitzname für Gesetzlose und Verbrecher aller Art war. Als literarische Figur finden wir ihn erstmals im 14. Jahrhundert kurz erwähnt, die ältesten schriftlichen Belege, die sich ausführlich mit seiner Geschichte befassen, stammen sogar erst aus dem 15. Jahrhundert. In den meisten dieser Balladen und Gedichte heißt aber der König, für oder gegen den Robin Hood kämpfte, Edward und nichtRichard. Alle Versuche, den wahren Kern der Legende in einer bestimmten Zeit zu verhaften oder sogar an realen Personen festzumachen, sind bislang gescheitert.
Niemand bedauert das mehr als ich.
Kehren wir also zu den Fakten und zu John zurück, der ein hervorragendes Beispiel dafür ist, dass das wahre Leben oft schlimmere Schurken hervorbringt, als wir Geschichtenerzähler uns je ausdenken könnten.
Kaum war John seinem Bruder am 27. Mai 1199 auf den Thron gefolgt, da brach auf dem Kontinent die Hölle los. Philip Auguste, der ihn doch gegen Richard so oft unterstützt hatte, wandte sich nun gegen John. Der König von Frankreich und sein Adel wussten ganz genau, dass John Richard Löwenherz weder politisch noch militärisch das Wasser reichen konnte, und fielen in seinen französischen Territorien ein, um sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. John sei ja überhaupt nicht der rechtmäßige Thronerbe, behaupteten sie. Der junge Arthur von der Bretagne, Sohn von Johns und Richards älterem Bruder Geoffrey, habe einen viel besseren Anspruch.
John hatte ein solches Talent, seine Vasallen zu brüskieren und zu kränken, dass er in Frankreich bald jeglichen Rückhalt verloren hatte. Eleanor, seine mittlerweile fast achtzigjährige Mutter, kehrte nach Aquitanien zurück, um wenigstens dort ein paar Wogen zu glätten und es für ihren jüngsten und einzig verbliebenen Sohn zu retten. (Obwohl sie ihn verabscheute, heißt es.) Das war gar nicht so einfach, denn auch den aquitanischen Adel hatte John schon gegen sich aufgebracht. Er hatte seine erste Frau, Isabella of Gloucester, abserviert (zu nah verwandt), und damit er sich nicht umgewöhnen musste, Isabella von Angoulême geheiratet, die Tochter seines mächtigsten aquitanischen Vasallen. Blöd nur, dass diese Isabella schon einem anderen versprochen gewesen war, dem John die Braut mitsamt Mitgift vor der Nase wegschnappte, ohne ihn zuentschädigen. Der geprellte Bräutigam lief natürlich zu Philip Auguste und Arthur über, die die rüstige Eleanor im Juli 1202 in Mirebeau belagerten. Ein einziges Mal im Leben tat John etwas Anständiges, das ihm obendrein auch noch glückte: In Gewaltmärschen (130 Kilometer in zwei Tagen) eilte er seiner Mutter zu Hilfe, überrumpelte seine Feinde und nahm zweihundert von ihnen gefangen, darunter auch seinen Neffen und Konkurrenten Arthur.
Einen ganzen Schwung seiner Gefangenen schickte John nach England. Zweiundzwanzig von ihnen ließ er in Corfe Castle elend verhungern. Gefangene verhungern zu lassen sollte sich mit den Jahren zu einem seiner liebsten Hobbys entwickeln. Arthurs Schwester Eleanor ließ er vierzig Jahre lang, bis an ihr Lebensende, einsperren. Arthur selbst wurde auf Umwegen nach Rouen geschafft und dort unter schauderhaften Bedingungen eingekerkert.
Johns Lage auf dem Kontinent wurde trotz dieses Überraschungserfolges immer finsterer. Der französische König, sein offizieller Lehnsherr für die Normandie, Aquitanien, Anjou und was John sonst noch so an französischen Grafschaften besaß, erklärte John für enteignet, während der bretonische und normannische Adel sich mit Philip Auguste verbündete, um Arthurs Freilassung zu erzwingen und den jungen Prinzen an Johns Stelle auf den englischen
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