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Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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derer er sich bedienen wollte.
    Ausgerechnet Llywelyns Bruder Dafydd kam Edward zur Hilfe. Dafydd war eine von diesen eigenartigen, fast diabolischen Gestalten, die man in der Geschichte immer wieder einmal antrifft: Er schien nur auf die Welt gekommen zu sein, um Unheil zu stiften. Weil er sich von seinem mächtigen Bruder benachteiligt und überschattet fühlte, plante er einen Mordanschlag auf ihn. Der missglückte, und Dafydd floh nach England, wo er sich hinter Edwards Thron versteckte. Edward hieß ihn mit einem warmen Lächeln willkommen. Als Llywelyn von Wales ihm dann verständlicherweise den Lehnseid verweigerte, weil Edward seinem abtrünnigen, mörderischen Bruder Asyl bot, warf der König von England dem Prince of Wales vor, seine Oberhoheit nicht anzuerkennen.
    Ein wunderbarer Anlass, in Wales einzufallen.
    1277 nahm Edward Anglesey ein, die der Nordwestküste Wales’ vorgelagerte Insel, welche dem ganzen Norden des Landes als Kornkammer diente und auf die Llywelyn daher keinesfalls verzichten konnte. Bald musste er sich ergeben, aber Edward zeigte untypische Milde: Llywelyn durfte seine Stammländereien und sogar den Titel »Prince of Wales« behalten, war also mit einem blauen Auge davongekommen. Bis sein Bruder Dafydd ihm die nächste Bombe in den Schoß warf.
    Dafydd, der 1277 noch bedenkenlos auf Seiten der Engländer gegen seinen Bruder gekämpft hatte, kam nämlich 1282 auf den Gedanken, dass die Engländer eigentlich gar nicht richtig lieb zu ihm waren und König Edward ihn für seine treuen Dienste nicht mit genügend Ländereien belohnt hatte. Er beklagte sich lautstark, fing Streit mit seinen Nachbarn an, trieb es so bunt, dass er schließlich nach Wales fliehen musste, und zog seinen unwilligen Bruder Llywelyn in einen neuerlichen Krieg mit den Engländern. Bei einem Scharmützel wurde Llywelyn verletzt und starb am 11. Dezember 1282. Dafydd – schamlos im wahrsten Sinne des Wortes – rief sich daraufhin höchstpersönlich zum Prince of Wales aus. Aber er verstand es nicht wie sein Bruder, die Waliser zu einen. Ein paar Monate hielt er noch aus, dann wurde er von seinen eigenen Landsleuten gefangen genommen und den Engländern übergeben. Er wurde wegen Hochverrats verurteilt, was einen ziemlich grausigen Tod nach sich zog: Zur Richtstätte wurde er geschleift, dann wurde er aufgehängt, wenig später wieder abgeschnitten, dann wurden ihm die Eingeweide herausgerissen, kastriert wurde er wahrscheinlich auch noch, und die entnommenen Körperteile verbrannt (was Dafydd, falls er noch lebte, eher egal gewesen sein dürfte). Zu guter Letzt wurde er gevierteilt. Die vier Teile wurden zur öffentlichen Zurschaustellung in vier englische Städte geschickt, der Kopf, den man ihm natürlich auch noch abschlug, neben dem seines Bruders auf der Burgmauer des Tower of London aufgepflanzt. (Und wie Llywelyns Kopf, der immerhin schon zehn Monate dort ausharrte, ausgesehen haben mag, wollen wir uns vielleicht lieber nicht vorstellen.)
    Ich schildere diese Hinrichtung mit solcher Liebe zum Detail, weil sie 1283 noch etwas völlig Neues war. Alle Könige bis einschließlich Henry III. hatten sich damit begnügt, Verräter aufzuhängen. Dass aber dieser spezielle Straftatbestand nun auf einmal so barbarisch geahndet wurde, liegt wohl nicht allein an Edwards Grausamkeit, sondern sicher auch an dem Schaden, den das Ansehen der Krone – und damit der Person desKönigs – während der Rebellionen der Barone unter Edwards Vater und Großvater genommen hatte. Einen Hochverräter in so schauderhafter Weise zu bestrafen führte jedem Zuschauer (und das waren viele) vor Augen, welch eine Sonderstellung der König von Gottes Gnaden einnahm, dass man so einen hohen Preis dafür bezahlen musste, wenn man sich gegen ihn wandte.
    Finsterstes Mittelalter, denken Sie mit einem angewiderten Kopfschütteln?
    Von wegen.
    Die letzte Hinrichtung dieser Art fand in London am 24. August 1782 statt. Das war das Jahr, da Alessandro Volta mit seinen Experimenten das Zeitalter der Elektrizität einläutete, sechs Jahre zuvor hatten die britischen Kolonien in Amerika ihre Unabhängigkeit erklärt, und nur rund 100 Jahre trennten die Welt noch von der Erfindung des Verbrennungsmotors.
    Das Mittelalter war lange vorbei.
    Aber zurück zur Sache.
    Edward brauchte noch ein paar Monate, um das unzugängliche, zerklüftete Wales zu unterwerfen und dessen kämpferische Bewohner in die Knie zu zwingen. Mit dem »Statute of Wales« von 1284

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