Von Ratlosen und Löwenherzen
Lothringen war in Männerkleidern und mit Erlaubnis des Dauphin nach Orléans gezogen, das der Duke of Bedford gerade belagerte. Das war weiß Gott schon verrückt genug. Männerkleider! Das schockierte die Engländer mehr als alles andere. Und dieses unmögliche Mannweib schaffte es doch tatsächlich, mit der kleinen Truppe, die der Dauphin ihr zugestanden hatte, die Belagerung der Stadt aufzuheben. Völlig verdattert mussten der Duke of Bedford und seine Haudegen abziehen.
Aber die »Jungfrau von Orléans« war noch nicht fertig mit den verhassten Engländern und Burgundern. Sie fing an, nach und nach zurückzuerobern, was Bedford so mühevoll eingenommen hatte, und schließlich führte sie den Dauphin nach Reims, wo er zu Charles VII. von Frankreich gekrönt wurde.
Frankreich staunte und jubelte. Jeanne d’Arc selbst staunte überhaupt nicht, denn sie tat nur, was die Stimmen der heiligen Margarete, Katharina und Michael ihr auftrugen, die sie praktisch täglich hörte und die ihr immer genau sagten, was als Nächstes passieren würde.
England war fassungslos, und spätestens bei der Krönung des Dauphin zutiefst erschrocken. Die französische Krone sollte doch laut Vertrag von Troyes an die Könige von Englandübergehen! So eine Unverschämtheit konnte man sich nicht bieten lassen. Also brach Kardinal Beaufort im Mai 1430 mit dem sehr kleinen König und einem sehr großen Gefolge nach Frankreich auf, um Henry auch noch seine zweite Krone aufzubürden.
Im gleichen Monat fiel Jeanne d’Arc dem Grafen von Ligny in die Hände, der ein Verbündeter von Burgund, mithin auch ein Verbündeter der Engländer war. Sie hatte – aus englischer Sicht – großen Schaden angerichtet, hätte um ein Haar sogar Paris eingenommen, und vor allem hatte sie Frankreich einen französischen König zurückgegeben und zumindest teilweise hinter ihm geeint.
Das durfte nicht sein.
Die Engländer beschlossen, den Burgundern die Jungfrau abzukaufen und als Ketzerin und Hexe zu überführen. Für solch eine Anklage war sie angreifbar, weil sie sich ständig damit brüstete, in Gottes Auftrag zu handeln und von ihren drei Heiligen geführt zu werden. Die Engländer wollten Rache für den Schaden, den sie angerichtet hatte, aber vor allem wollten sie den Dauphin diskreditieren, indem sie die Frau, die ihn auf den Thron gehievt hatte, als Ketzerin entlarvten. Ihre Hoffnung war, dass der französische Adel und Klerus sich dann von ihm ab- und König Henry zuwenden würden.
Also veranstalteten sie einen abscheulichen abgekarteten Schauprozess, dessen theologisches Fundament die Universität von Paris lieferte (die Burgund freundlich gesinnt war, nicht dem Dauphin).
Jeanne wurde nicht mit Fingerschrauben oder ähnlichen schauerlichen Instrumenten gefoltert. Aber sie war schon fast ein Jahr lang eingesperrt, als ihr Prozess begann. Nachdem sie zur Verhandlung nach Rouen gebracht worden war, wurde sie in Isolationshaft gehalten, bewacht von drei englischen Finstermännern, die ihr zwar vermutlich nichts getan haben, aber die Drohung stand ständig im Raum. Sie war noch keine zwanzig Jahre alt und psychisch äußerst labil. Wir könnten auch sagen,psychotisch. (Es sei denn, Sie glauben, dass sie Erscheinungen hatte und die Stimmen der Heiligen hörte.) Jeden Tag führte man sie vor eine Riege von einem runden Dutzend Anklägern, gebildeten, feindseligen Kirchenmännern, die versuchten, das einfache Bauernmädchen in rhetorische Fallen zu locken, ihr das Wort im Mund zu verdrehen, und die der überaus frommen Angeklagten außerdem die Sakramente verweigerten. Es ist ein kleines Wunder – und ein Beweis ihrer verblüffenden Hartnäckigkeit –, dass sie so lange durchgehalten hat. Aber nach gut zwei Monaten hatten sie sie schließlich weichgekocht, und Jeanne unterschrieb ein Geständnis (nur mit einem Kreuz, denn sie konnte nicht schreiben, aber vor vielen Zeugen).
Dann legten sie sie herein und brachten sie dazu, ihr Geständnis zu widerrufen. Daraufhin übergaben ihre kirchlichen Ankläger sie dem weltlichen Gesetz in Gestalt des Earls of Warwick, der verfügte, Jeanne d’Arc auf dem Alten Markt von Rouen öffentlich zu verbrennen.
Das geschah am 30. Mai 1431. Als es vorüber war, schickte Kardinal Beaufort seine Männer aus, die Asche einzusammeln und in die Seine zu streuen, auf dass nichts von der Jungfrau übrig bliebe, worauf man einen Heiligenkult hätte begründen können.
Das ist ein ziemlich finsteres Kapitel in der
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