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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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gab?«
    »Ähh. Warten Sie.«
    Erleichterung auf der
Richterbank. Der Vorsitzende lehnte sich zurück.
    >Jetzt langsam, leg eine
Pause ein, zwing dich zu Pausen<, dachte Karim und sagte: »Jeans, schwarze
Lederjacke, T-Shirt.«
    »Was für ein T-Shirt?«
    »Oh, das weiß ich wirklich
nicht mehr«, sagte Karim.
    Der Vorsitzende sah befriedigt
seinen Berichterstatter an, der das Urteil später würde schreiben müssen. Die
beiden Richter nickten sich zu.
    »Ähh ...« Karim kratzte sich
am Kopf. »Ah, doch, ich weiß es wieder. Wir haben alle diese T-Shirts vom Onkel
gehabt. Der hat die ganz billig gekriegt und uns geschenkt. Da steht so was
drauf, auf Englisch, dass wir arbeiten müssen und so. So ganz lustig halt.«
    »Meinen Sie dieses T-Shirt,
das Ihr Bruder Walid auf dem Bild trägt?« Der Vorsitzende legte Karim ein Foto
aus der Bildermappe vor.
    »Ja, ja, Herr Richter. Genau.
Das ist es. Wir haben ganz viele davon. Das habe ich auch an. Aber das auf dem
Foto ist der Walid, nicht der Imad.«
    »Ja, das weiß ich auch«, sagte
der Richter.
    »Zeigen Sie mal«, sagte der
Staatsanwalt.
    >Endlich<, dachte Karim
und sagte: »Wie zeigen? Die sind doch in der Wohnung.«
    »Nein, das, das Sie jetzt
tragen, meine ich.«
    »Echt jetzt?«, fragte Karim.
    »Ja, ja, los doch«, sagte der
Vorsitzende.
    Als auch der Staatsanwalt
ernst nickte, zuckte Karim mit den Schultern. Er zog so teilnahmslos wie
möglich den Reißverschluss seiner Lederjacke auf und öffnete sie. Er trug das
gleiche T-Shirt wie Walid auf dem Bild in den Akten. Karim hatte davon zwanzig
Stück in der vergangenen Woche in einem der unzähligen Kopierläden in Kreuzberg
hergestellt, an alle Brüder verteilt und zehn weitere in der elterlichen
Wohnung deponiert - falls nochmals eine Durchsuchung stattfände.
     
    Die Verhandlung wurde unterbrochen und Karim vor die
Tür geschickt. Zuvor hörte er den Richter noch zum Staatsanwalt sagen, dass
nur noch die Gegenüberstellung bleibe, weitere Beweismittel habe man nicht.
>Die erste Runde ist gut gegangen<, dachte er.
     
    Als Karim wieder hereingerufen wurde, wurde er
gefragt, ob er vorbestraft sei, was er verneinte. Die Staatsanwaltschaft hatte
einen Registerauszug besorgt, der das bestätigte.
    »Herr Abou Fataris«, sagte der
Staatsanwalt, »Ihnen ist doch klar, dass Sie mit Ihrer Aussage Imad belasten.«
    Karim nickte. Beschämt sah er
nach unten auf seine Schuhe.
    »Warum tun Sie das?«
    »Also«, er stotterte jetzt
sogar ein wenig, »der Walid ist auch mein Bruder. Ich bin der Jüngste, die
sagen alle immer, ich bin der Dumme und so. Aber der Walid und der Imad sind
halt beide meine Brüder. Verstehen Sie? Und wenn es aber ein anderer Bruder
gewesen ist, dann kann doch der Walid nicht in den Knast wegen dem Imad. Besser
wäre es schon, wenn es ein ganz anderer, also so nicht aus der Familie ...
aber es ist auch ein Bruder. Der Imad halt.«
    Und nun holte Karim zum
letzten Schlag aus.
    »Herr Richter«, sagte er, »der
Walid war's wirklich nicht. Aber das stimmt schon, der Walid und der Imad sehen
ganz gleich aus. Schauen Sie.« Er kramte aus seinem speckigen Geldbeutel ein
zerknittertes Familienbild mit allen neun Brüdern hervor und hielt es dem
Vorsitzenden unangenehm nah vor die Nase. Der Vorsitzende griff danach und
legte es ärgerlich auf den Richtertisch.
    »Da, der Erste da, das bin
ich. Der Zweite, Herr Richter, das ist der Walid, der Dritte, das ist der
Farouk, der Vierte, das ist der Imad, der Fünfte, das ist der ...«
    »Dürfen wir das Bild behalten?«,
unterbrach der Pflichtverteidiger, ein freundlicher älterer Anwalt, dem
plötzlich der Fall nicht mehr so aussichtslos erschien.
    »Nur wenn ich's wiederkriege,
ich hab nur das eine. Das haben wir mal für die Tante Halima im Libanon
gemacht. Vor einem halben Jahr, also so alle neun Brüder nebeneinander,
verstehen Sie?« Karim sah die Prozessbeteiligten an, ob sie verstanden. »Damit
die Tante mal alle sieht. Dann haben wir es aber doch nicht geschickt, weil der
Farouk gesagt hat, dass er blöd aussieht...« Karim sah sich das Bild nochmals
an. »Er sieht auch blöd drauf aus, der Farouk. Er ist gar nicht ...«
    Der Vorsitzende winkte ab.
»Gehen Sie auf Ihren Platz zurück, Herr Zeuge.«
    Karim setzte sich auf den
Zeugenstuhl und begann von Neuem: »Also noch mal, Herr Richter. Der Erste da,
das bin ich, der Zweite, das ist der Walid, der Dritte, das ist der Farouk,
der Vierte ...«
    »Danke«, sagte der Richter
genervt. »Wir haben das

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