von Schirach, Ferdinand
Schubladen auf den Boden,
warfen Schränke um, und selbst die Fußbodenleisten rissen sie von der Wand,
weil sie dahinter Verstecke vermuteten. Sie fanden nichts.
Walid blieb dennoch in Haft -
der Pfandleiher hatte sein T-Shirt eindeutig beschrieben. Die beiden Polizisten
freuten sich, endlich mal einen Abou Fataris geschnappt zu haben, den man für
mindestens fünf Jahre aus dem Verkehr ziehen konnte.
Karim saß auf dem Zeugenstuhl
und blickte auf zur Richterbank. Er wusste, dass niemand im Saal ihm ein Wort
glauben würde, wenn er Walid einfach nur ein Alibi gäbe. Er war schließlich ein
Abou Fataris, einer aus der Familie, die von der Staatsanwaltschaft als
Intensivtäter geführt wurde. Jeder hier erwartete, dass er lügen würde. So
konnte es nicht funktionieren, Walid würde für viele Jahre im Gefängnis verschwinden.
Karim dachte an den Satz des
Sklavensohnes Archilochos, der sein Leitmotiv war: »Viel versteht der Fuchs,
der Igel eines nur.« Mochten die Richter und Staatsanwälte Füchse sein, er war
der Igel und hatte seine Kunst gelernt.
»Herr Richter...«, sagte er
und schluchzte. Ihm war klar, dass das niemanden rühren würde, aber es
steigerte ein wenig die Aufmerksamkeit. Karim gab sich alle Mühe, dumm, aber
glaubwürdig zu klingen. »Herr Richter, der Walid ist den ganzen Abend zu Hause
gewesen.« Er ließ die Pause wirken. Er sah aus dem Augenwinkel, dass der
Staatsanwalt eine Verfügung schrieb, er leitete damit gegen ihn ein Verfahren
wegen Falschaussage ein.
»So, so, den ganzen Abend zu
Hause ...«, sagte der Vorsitzende und beugte sich vor. »Aber das Opfer hat
Walid eindeutig identifiziert.«
Der Staatsanwalt schüttelte
den Kopf, und der Verteidiger vertiefte sich in die Akte.
Karim kannte die Fotos der
Gegenüberstellung aus den Akten. Vier Polizisten, die wie Polizisten aussahen:
blondes Oberlippenbärtchen, Bauchtasche, Sportschuhe. Und dann Walid: einen
Kopf größer und doppelt so breit, dunkle Haut, grünes T-Shirt mit gelber
Schrift. Eine neunzigjährige halb blinde Dame, die nicht dabei gewesen war,
hätte ihn »eindeutig identifiziert«.
Karim schluchzte wieder und
wischte sich mit dem Jackenärmel die Nase ab. Es blieb einiges hängen. Er
betrachtete es und sagte: »Nein, Herr Richter, es ist nicht Walid gewesen.
Bitte glauben Sie mir.«
»Ich belehre Sie nochmals,
dass Sie, wenn Sie hier schon aussagen, die Wahrheit sagen müssen.«
»Das tue ich ja.«
»Ihnen drohen schlimme
Strafen, Sie können ins Gefängnis kommen«, sagte der Richter. Er wollte sich
bei der Belehrung auf Karims Niveau begeben. Dann sagte er überlegen: »Wer
soll es denn gewesen sein, wenn es Walid nicht war?« Er sah in die Runde, der
Staatsanwalt lächelte.
»Ja, wer denn?«, wiederholte
der Staatsanwalt. Er fing sich einen strafenden Blick des Vorsitzenden ein, das
hier war seine Befragung.
Karim zögerte, so lange er
konnte. Er zählte in Gedanken bis fünf. Dann sagte er:
»Imad.«
»Was? Was meinen Sie mit: >Imad«
»Der Imad war's, nicht der
Walid«, sagte Karim.
»Wer ist denn dieser Imad?«
»Der Imad ist mein anderer
Bruder«, sagte Karim.
Der Vorsitzende sah ihn
erstaunt an, selbst der Verteidiger wachte plötzlich wieder auf. >Ein Abou Fataris
bricht die Regeln und belastet jemanden aus der eigenen Familie?<, fragten
sich alle.
»Aber der Imad ist weg, bevor
die Polizei gekommen ist«, fügte Karim hinzu.
»Ja? Naja.« Der Vorsitzende
begann sich zu ärgern. >Was für ein dummes Geschwätz<, dachte er.
»Er hat mir noch das hier
gegeben«, sagte Karim. Ihm war klar, dass die Aussage alleine nicht reichen
würde. Er hatte schon Monate vor dem Prozess damit begonnen, von seinen Konten
unterschiedliche Beträge abzuheben. Jetzt lag das Geld in genau der Stückelung,
die Walid geraubt hatte, in einem braunen Briefumschlag. Er übergab ihn dem
Vorsitzenden.
»Was ist da drin?«, fragte der
Richter.
»Ich weiß nicht«, sagte Karim.
Der Richter riss den Umschlag
auf und nahm das Geld heraus. Er achtete nicht auf Fingerabdrücke, aber es
wären ohnehin keine zu finden gewesen. Er zählte laut und langsam: »14.490 Euro sind das. Und das hat Imad
Ihnen am Abend des 17.4. übergeben?«
»Ja, Herr Richter, so war's.«
Der Vorsitzende dachte nach.
Dann stellte er die Frage, mit der er diesem Karim beikommen wollte. Er fragte
mit etwas höhnischem Unterton: »Herr Zeuge, können Sie sich denn erinnern, was
für Kleidung Imad trug, als er Ihnen den Umschlag
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