von Schirach, Ferdinand
einer Vielzahl von Schlägen zertrümmert
worden. Tatwaffe war ein gusseiserner Lampenständer, der zur
Standardausstattung des Zimmers gehörte. »Stumpfe Gewalteinwirkung«, wie es in
der Sprache der Gerichtsmedizin hieß.
Percy Boheim war der letzte Anrufer
auf dem Funktelefon des Opfers gewesen. Einen Tag nach der Tat hatten ihn zwei
Beamte der Mordkommission in seinem Berliner Büro aufgesucht. »Nur ein paar
Routinefragen«, hatten sie gesagt. Boheim hatte einen Firmenanwalt gebeten, bei
dem Gespräch dabei zu sein. In dem Polizeibericht stand, er habe sonst keine
Reaktion gezeigt. Sie hatten ihm ein Foto der Toten vorgelegt, er hatte
abgestritten, das Mädchen zu kennen.
Den Anruf hatte er damit
erklärt, dass er sich verwählt habe, den Standort seines Telefons damit, dass
er an dem Hotel vorbeigefahren sei. Die Polizisten hatten seine Aussage direkt
in seinem Büro aufgeschrieben. Er hatte sie durchgelesen und unterzeichnet.
Zu diesem Zeitpunkt war
bereits klar, dass das Gespräch fast eine Minute gedauert hatte, viel zu lange
für eine falsche Verbindung. Die Polizisten hatten Boheim das jedoch nicht
vorgehalten. Noch nicht. Was sie auch nicht offenbart hatten, war, dass seine
Nummer im Telefonregister der Toten gespeichert war. Boheim hatte sich
verdächtig gemacht.
Einen Tag später war die
Auswertung der Spurensicherung eingegangen, es gab Spermaspuren in den Haaren
und auf der Brust der Toten. Die DNA hatte sich nicht in der Datenbank finden
lassen. Boheim war gebeten worden, freiwillig eine Speichelprobe abzugeben.
Seine DNA war eilig ausgewertet worden - sie stimmte mit dem Sperma überein.
Das war im Wesentlichen der
Bericht.
Der gelbe Band mit den
Obduktionsfotos war Schmied wie immer unangenehm. Er sah ihn nur kurz durch,
Bilder, überscharf auf blauem Hintergrund, die man nur ertragen konnte, wenn
man sich zwang, sie lange anzusehen.
Schmied dachte an die vielen
Stunden, die er in der Gerichtsmedizin zugebracht hatte. Es ging dort leise
zu, nur die Geräusche der Skalpelle und Sägen, die Ärzte sprachen konzentriert
in Diktiergeräte, sie behandelten die Toten mit Respekt. Witze am
Obduktionstisch waren etwas für Kriminalromane. Nur an den Geruch, diesen
typischen Verwesungsgeruch, würde er sich nie gewöhnen - den meisten Medizinern
ging es nicht anders. Man konnte sich auch nicht Menthol unter die Nase
schmieren, manche Spuren erschlossen sich nur durch den Geruch der Toten. Als
junger Staatsanwalt hatte sich Schmied geekelt, wenn das Blut mit Schöpfkellen
aus den Körpern genommen und gewogen wurde oder wenn nach der Leichenschau die
Organe wieder in die Körper zurückgelegt wurden. Später hatte er verstanden,
dass es eine eigene Kunst war, wie fest man nach einer Obduktion eine Leiche
wieder zunähen muss, damit sie nicht ausläuft, und er hatte begriffen, dass
Gerichtsmediziner sich ernsthaft darüber unterhielten. Es war eine
Parallelwelt, wie auch seine es war. Schmied war mit dem Leiter der Gerichtsmedizin
befreundet; sie hatten fast das gleiche Alter, und sie redeten privat nie über
ihre Berufe.
Oberstaatsanwalt Schmied
seufzte ein zweites Mal. Dann unterzeichnete er den Haftbefehlsantrag und
brachte ihn zum Ermittlungsrichter.
Nur zwei Stunden später
fertigte der Richter den Haftbefehl aus, sechs Stunden später wurde Boheim in
seiner Wohnung verhaftet. Zeitgleich wurden die verschiedenen Wohnungen, Büros
und Häuser der Boheims in Düsseldorf, München, Berlin und auf Sylt durchsucht.
Die Polizei hatte alles gut organisiert.
Drei Anwälte erschienen zur Verkündung
des Haftbefehls. Sie wirkten wie Fremdköper in dem kleinen Zimmer des
Ermittlungsrichters. Es waren Zivilrechtsanwälte, hoch bezahlte Spezialisten
für Firmenübernahmen und internationale Schiedsverfahren. Seit Jahren war
keiner von ihnen mehr vor einem Gericht aufgetreten, das letzte Mal hatten sie
sich in ihrer Ausbildung mit Straffecht beschäftigt. Sie wussten nicht, welche
Anträge sie stellen mussten, und einer von ihnen sagte drohend, man würde die
Politik einschalten. Der Richter blieb trotzdem ruhig.
Melanie Boheim saß auf der
Holzbank vor der Tür des Sitzungszimmers. Niemand hatte ihr gesagt, dass sie
ihren Mann nicht sehen könnte - der Verkündungstermin war nicht öffentlich. Auf
Anraten seiner Anwälte schwieg Boheim bei der Eröffnung des Haftbefehles. Die
Anwälte hatten einen Blankoscheck und ein Schreiben der Bank dabei, dass er bis
zu 50 Millionen Euro gedeckt
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