von Schirach, Ferdinand
Kurznachrichten.
»Mittwoch 12:00 Uhr
Parkhotel. Wie immer Zimmer 239«. Die SMS war von »PB«. Abbas ging in die Küche und
setzte sich auf einen der Holzstühle. Er konnte vor Wut kaum atmen. »Wie immer«,
es war also nicht das erste Mal. Wie konnte sie das nur tun. Jetzt, in der
größten Krise seines Lebens. Er liebte sie doch, sie war alles für ihn, er
hatte gedacht, dass sie das gemeinsam durchstehen würden. Abbas konnte es nicht
fassen.
Am nächsten Mittwoch um 12:00 Uhr stand er vor dem Parkhotel.
Es war das beste Hotel der Stadt. Und das war sein Problem. Der Concierge am Eingang hatte ihn nicht
durchgelassen. Abbas nahm es ihm nicht übel, er sah nicht gerade wie ein
Hotelgast aus. Er kannte die Vorbehalte gegen sein arabisches Aussehen. Also
setzte er sich auf eine Bank und wartete. Er wartete über zwei Stunden.
Endlich kam Stefanie aus dem Hotel. Er ging ihr entgegen und beobachtete ihre
Reaktion. Stefanie erschrak und wurde rot.
»Was tust du denn hier?«,
fragte sie.
»Ich habe auf dich gewartet.«
»Woher hast du gewusst, dass
ich hier bin?« Sie fragte sich, was er noch alles wusste.
»Ich bin dir gefolgt.«
»Du bist mir gefolgt? Spinnst
du? Warum hast du das gemacht?«
»Du hast einen anderen, ich
weiß es.« Abbas hatte Tränen in den Augen, er packte sie am Arm.
»Mach dich nicht lächerlich.«
Sie riss sich los und lief über den Platz. Sie dachte, sie wäre in einem Film.
Er lief zwei Schritte hinter
ihr her und hielt sie erneut fest. »Stefanie, was hast du in dem Hotel gemacht?«
Sie musste sich sammeln, denk
klar, sagte sie sich. »Ich habe mich beworben, die bezahlen mehr als im
Biergarten.« Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
Abbas glaubte ihr natürlich
nicht. Sie stritten sich laut auf dem Platz. Es war ihr peinlich, Abbas schrie,
sie zog ihn weg. Irgendwann wurde er stiller. Sie fuhren in ihre Wohnung. Abbas
saß am Küchentisch, trank Tee und schwieg.
Boheim traf Stefanie jetzt
schon seit zwei Monaten. Sie hatte ihre Schüchternheit abgelegt. Sie verstanden
sich gut, vielleicht etwas zu gut. Stefanie hatte ihm erzählt, dass ihr Freund
sie vor zwei Wochen verfolgt habe. Boheim war beunruhigt, er wusste, dass er
die Sache beenden musste. Das war das Dumme an solchen Beziehungen. Ein
eifersüchtiger Freund bedeutete Schwierigkeiten.
Er kam heute zu spät, die Besprechung
hatte lange gedauert. Er schaltete das Telefon des Wagens ein und wählte ihre
Nummer. Es war schön, ihre Stimme zu hören. Er sagte, er sei gleich da. Sie
freute sich und behauptete, sie sei schon nackt.
Als er in die Hotelgarage
fuhr, legte er auf. Er würde ihr sagen, dass es zu Ende sei. Am besten gleich
heute. Boheim war keiner, der lange zögerte.
Die Akte lag aufgeschlagen auf
dem Schreibtisch. Es waren bisher nur zwei Bände in dem üblichen roten
Kartonpapier für Strafakten, aber sie würde weiter wachsen. Die Akte gefiel
Oberstaatsanwalt Schmied nicht. Er schloss die Augen und lehnte sich zurück.
»Nur noch acht Monate bis zur Pensionierung«, dachte er. Schmied war seit
zwölf Jahren Leiter der Abteilung für Kapitalverbrechen bei der Staatsanwaltschaft
Berlin. Und jetzt hatte er genug. Sein Vater stammte aus Breslau, Schmied
fühlte sich durch und durch als Preuße. Er hasste die Verbrecher nicht, die er
verfolgte, es war einfach seine Aufgabe. Er wollte keinen großen Fall mehr,
lieber ein paar einfache Morde, Dramen, die in der Familie spielten, Fälle, die
schnell aufzuklären waren. Aber bitte keine Berichtssache mehr, bei der er
alles zum Generalstaatsanwalt weitertragen müsste.
Vor Schmied lag der Antrag auf
Haftbefehl gegen Boheim. Er hatte ihn immer noch nicht unterschrieben. »Danach
geht der ganze Unsinn mit der Presse los«, dachte er. Schon jetzt waren die
Boulevardblätter voll mit der nackten Studentin im Nobelhotel. Er konnte sich
ungefähr vorstellen, was passieren würde, wenn Percy Boheim, Vorstandsvorsitzender
und Hauptanteilseigner der Boheim-Werke, verhaftet würde. Die Hölle würde
losbrechen und der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft jeden Tag neue Order
erhalten, was er zu sagen hätte.
Schmied seufzte und nahm sich
den Vermerk nochmals vor, den der neue Kollege geschrieben hatte. Der Neue war
ein guter Mann, noch etwas leidenschaftlich, aber das würde sich mit den Jahren
geben.
Der Vermerk fasste die Akte
ordentlich zusammen:
Stefanie Becker war um 15:26 Uhr tot aufgefunden worden.
Ihr Kopf war mit großer Gewalt und
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