von Schirach, Ferdinand
Aber ich bezweifelte, dass der Richter den Haftbefehl schon
jetzt aufheben würde - ein Verdacht blieb.
Zwei Tage später rief der
Ermittlungsrichter an, um einen Termin zur Haftprüfung zu vereinbaren. Wir
einigten uns auf den nächsten Tag. Ich konnte die Akte von einem Büroboten
abholen lassen, die Staatsanwaltschaft hatte die Einsicht genehmigt.
Die Akte enthielt neue
Ermittlungen. Alle Personen aus dem Adressbuch des Funktelefons der Toten waren
befragt worden. Eine Freundin, der sich Stefanie Becker anvertraut hatte,
erklärte der Polizei, weshalb sie sich prostituiert hatte.
Weitaus interessanter aber
war, dass die Polizei inzwischen Abbas ausfindig gemacht hatte. Er war
vorbestraft, Einbruch und Drogenhandel und zwei Jahre zuvor ein Gewaltdelikt,
eine Schlägerei vor einer Diskothek. Die Polizei hatte Abbas vernommen. Er
sagte, einmal sei er Stefanie aus Eifersucht zu dem Hotel gefolgt, aber sie
habe ihren Aufenthalt erklären können. Die Vernehmung zog sich über viele
Seiten, in jeder Zeile spürte man das Misstrauen der Beamten. Aber am Ende hatten
sie nur ein Motiv und keinen Beweis.
Am späten Nachmittag besuchte
ich Oberstaatsanwalt Schmied in seinem Dienstzimmer. Er empfing mich wie immer
in freundlicher und professioneller Atmosphäre. Auch er hatte bei Abbas kein
gutes Gefühl, Eifersucht sei immer ein starker Antrieb. Als Alternativtäter sei
er nicht auszuschließen: Er kannte das Hotel, sie war seine Freundin, sie
hatte mit einem anderen geschlafen. Wenn er dort gewesen war, hätte er sie auch
töten können. Ich erklärte Schmied, weshalb Boheim gelogen hatte, und sagte
dann: »Mit einer Studentin zu schlafen ist schließlich kein Verbrechen.«
»Ja, aber schön ist es auch
nicht.«
»Darauf kommt es Gott sei Dank
nicht an«, sagte ich. »Ehebruch ist kein Strafdelikt mehr.« Schmied selbst
hatte vor einigen Jahren eine Affaire mit einer Staatsanwältin gehabt,
wie jeder in Moabit wusste. »Ich kann keinen Grund sehen, weshalb Boheim seine
Geliebte hätte töten wollen«, sagte ich.
»Ich auch noch nicht. Aber Sie
wissen doch, dass mir Motive nicht so wichtig sind«, sagte Schmied. »Bei
seiner Vernehmung hat er wirklich wild gelogen.«
»Das macht ihn zwar
verdächtig, beweist aber letztlich nichts. Außerdem wäre seine erste Aussage in
der Hauptverhandlung vermutlich unverwertbar.«
»Aha?«
»Die Polizisten hatten zu dem
Zeitpunkt bereits die Telefonate ausgewertet. Sie wussten, dass er mit dem
Opfer lange telefoniert hatte. Sie wussten aufgrund der Funkzelle, die sein
Handy ansprach, dass sein Wagen in der Nähe des Hotels war. Sie wussten, dass
er das Zimmer gemietet hatte, in der das Mädchen getötet wurde«, sagte ich.
»Die Polizisten hätten ihn also als Beschuldigten vernehmen müssen. Sie haben
ihn aber nur als Zeugen gehört und ihn auch nur als Zeugen belehrt.«
Schmied blätterte in der
Vernehmung. »Sie haben recht«, sagte er schließlich und schob die Akten von
sich. Ihn ärgerten solche Spielchen der Polizei, sie führten nie wirklich
weiter.
»Außerdem waren auf dem
Tatwerkzeug, der Lampe, mit der die Studentin erschlagen wurde, keine
Fingerabdrücke«, sagte ich. Die Spurenauswertung hatte dort nur ihre DNA gefunden.
»Das ist richtig«, sagte
Schmied. »Aber das Sperma in den Haaren des Mädchens stammt von Ihrem Mandanten.«
»Ach, kommen Sie, Herr
Schmied, das ist doch Unsinn. Er ejakuliert auf das Mädchen und zieht sich dann
Handschuhe an, um sie zu erschlagen? Boheim ist doch kein Vollidiot.«
Schmied zog die Augenbrauen
hoch.
»Und alle anderen Spuren, die
auf Wassergläsern, an Tür- und Fensterklinken usw. gesichert wurden, sind durch
seinen Aufenthalt in dem Hotel unschuldig zu erklären«, sagte ich weiter.
Wir diskutierten fast eine
Stunde. Am Ende sagte Oberstaatsanwalt Schmied:
»Unter der Voraussetzung, dass
Ihr Mandant bei der Haftprüfung seine Beziehung zur Toten ausführlich
schildert, bin ich einverstanden, dass der Haftbefehl morgen außer Vollzug
gesetzt wird.«
Er stand auf und gab mir zum
Abschied die Hand. Als ich im Türrahmen stand, sagte er noch: »Boheim wird aber
seinen Pass abgeben, eine hohe Kaution zahlen und sich zweimal pro Woche bei
der Polizei melden müssen. Einverstanden?«
Natürlich war ich
einverstanden.
Als ich das Zimmer verließ,
war Schmied zufrieden, dass sich die Sache nun beruhigen würde. Er hatte Boheim
eigentlich nie für den Täter gehalten. Percy Boheim schien kein
Weitere Kostenlose Bücher