von Schirach, Ferdinand
warteten, bis er die Beutel durch ein
Sieb erbrach. Ab und zu starb einer seiner neuen Freunde, die Magensäure löste
das Cellophan zu früh auf.
Das Geschäft war gefährlich,
schnell und einträglich. Abbas hatte nun Geld, und er schickte regelmäßig
größere Beträge nach Hause. Er langweilte sich nicht mehr. Das Mädchen, das
er jetzt liebte, hieß Stefanie. Er hatte sie in einer Diskothek lange beim
Tanzen beobachtet. Und als sie sich zu ihm umgedreht hatte, war er, der große
Drogenhändler, der Herr über die Straße, rot geworden.
Natürlich wusste sie nichts
von seinen Drogengeschäften. Abbas hinterließ ihr morgens Liebesbriefe auf dem
Kühlschrank. Er sagte seinen Freunden, wenn sie trinke, könne er sehen, wie
das Wasser durch ihre Kehle laufe. Sie wurde seine Heimat, er hatte sonst
nichts. Er vermisste seine Mutter, seine Geschwister und die Sterne über
Beirut. Er dachte an seinen Vater, wie er ihn geohrfeigt hatte, nur weil er
einen Apfel am Obststand gestohlen hatte. Er war damals sieben Jahre alt
gewesen. »In unserer Familie gibt es keine Verbrecher«, hatte der Vater
gesagt. Er war mit ihm zum Obstverkäufer gegangen und hatte den Apfel bezahlt.
Abbas wäre gerne Automechaniker geworden. Oder Maler. Oder Tischler. Oder
sonst irgendetwas. Aber er wurde Drogenhändler. Und jetzt war er nicht einmal
mehr das:
Vor einem Jahr war Abbas das
erste Mal in der Spielhalle. Am Anfang war er nur mit seinen Freunden dort, sie
gaben an, sie taten so, als wären sie James Bond, und alberten mit der hübschen
Bedienung rum. Aber dann ging er alleine in die Halle, obwohl ihn
alle gewarnt hatten. Die Automaten zogen ihn an. Irgendwann hatte er
angefangen, mit ihnen zu reden, jeder von ihnen hatte einen eigenen Charakter,
wie Götter bestimmten sie sein Schicksal. Er wusste, dass er spielsüchtig war.
Seit vier Monaten verlor er jeden Tag. Noch im Schlaf hörte er die Melodie des
Automaten, die den Gewinn ankündigte. Er konnte nicht anders, er musste
spielen.
Seine Freunde nahmen ihn nicht
mehr mit zum Drogenhandel, er war für sie nur noch ein Süchtiger, nicht anders
als ihre Kunden, die Junkies. Er würde ihnen Geld stehlen, sie kannten seine
Zukunft, und Abbas wusste, dass sie recht hatten. Aber das war noch nicht
einmal das Schlimmste.
Das Schlimmste war Danninger.
Abbas hatte sich von ihm Geld geliehen, fünftausend Euro, er musste
siebentausend zurückzahlen. Danninger war ein freundlicher Mann, er hatte
gesagt, dass jeder mal ein Problem haben könne. Abbas hatte auch keine Angst
gehabt, er würde das Geld sicher wieder einspielen, der Automat könnte ihn
nicht immer verlieren lassen. Er hatte sich getäuscht. Am Tag der Rückzahlung
war Danninger gekommen und hatte ihm die Hand gereicht. Und dann war alles ganz
schnell gegangen. Danninger hatte eine Kneifzange aus seiner Tasche gezogen,
Abbas sah die Griffe, sie waren mit gelbem Plastik überzogen und leuchteten in
der Sonne. Dann lag Abbas kleiner Finger der rechten Hand auf dem Bordstein.
Während er vor Schmerzen geschrien hatte, hatte Danninger ihm ein Taschentuch
gegeben und den kürzesten Weg zum Krankenhaus beschrieben. Danniger war immer
noch freundlich, er hatte aber auch gesagt, dass sich die Schuld nun erhöht
habe. Wenn Abbas nicht in drei Monaten zehntausend zurückzahle, müsse er ihm
den Daumen abschneiden, dann die Hand, und so ginge es immer weiter, bis zum
Kopf. Ihm tue das wirklich leid, er möge Abbas, er sei ein netter Kerl, aber
es gebe Regeln, und niemand könne die Regeln ändern. Abbas zweifelte keinen
Augenblick daran, dass Danninger es ernst gemeint hatte.
Stefanie weinte mehr über den
Finger als über das verlorene Geld. Sie wussten nicht weiter. Aber wenigstens
waren sie jetzt zu zweit. Und sie würden eine Lösung finden. In den vergangenen
zwei Jahren hatten sie für alles eine Lösung gefunden. Stefanie sagte, dass
Abbas sofort eine Therapie beginnen müsse. Aber das löste nicht das
finanzielle Problem. Stefanie wollte wieder als Kellnerin arbeiten. Mit
Trinkgeld wären das 1800 Euro pro Monat. Abbas passte es nicht, dass sie in dem
Biergarten arbeiten würde, er war eifersüchtig auf die Gäste. Aber es würde
eben nicht anders gehen. Zurück zum Drogenhandel konnte er nicht, sie würden
ihn dort nur schlagen und wegschicken.
Einen Monat später war klar,
dass sie das Geld so nicht zusammenbekommen würden. Stefanie war verzweifelt.
Sie musste eine Lösung finden, sie hatte Angst um Abbas. Sie wusste
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