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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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so schnell einbringen,
dass die Bohnen innerhalb von zwölf Stunden die Nassaufbereitung durchliefen.
Nach zwei Jahren stellte das Dorf die besten Kaffeebohnen im weiten Umkreis
her.
     
    Ayana wurde schwanger. Sie
freuten sich auf das Kind. Als das Mädchen geboren wurde, nannten sie es Tiru. Michalka
war stolz und glücklich. Er wusste, dass er Ayana sein Leben verdankte.
     
    Das Dorf wurde wohlhabend.
Nach drei Jahren gab es fünf LKW, die Ernte war perfekt organisiert, die
Kaffeeplantagen der Bauern wuchsen, sie hatten ein Bewässerungssystem angelegt
und Bäume zum Schutz vor dem Wind gepflanzt. Michalka war geachtet und wurde in
der ganzen Gegend bekannt. Einen Teil ihrer Gewinne bezahlten die Bauern in
eine gemeinsame Kasse. Michalka hatte aus der Stadt eine junge Lehrerin geholt
und sorgte dafür, dass die Dorfkinder lesen und schreiben lernten.
    Wenn jemand aus dem Dorf krank
wurde, kümmerte sich Michalka um ihn. Der Arzt stellte eine Notfallapotheke zusammen
und brachte Michalka medizinische Grundkenntnisse bei. Er lernte schnell, er
sah, wie man Blutvergiftungen behandelt, und half bei Geburten. Der Arzt saß
abends oft bei Michalka und Ayana, er erzählte von der langen Geschichte des
biblischen Landes. Sie wurden Freunde.
     
    In Streitfällen fragte man den
Mann mit den roten Haaren um Rat. Michalka ließ sich nicht bestechen, er
urteilte wie ein guter Richter ohne Ansehen der Stämme und Dörfer. Die Menschen
vertrauten ihm.
     
    Er hatte sein Leben gefunden, Ayana
und er liebten sich, Tiru wuchs auf und war gesund. Michalka konnte sein Glück
nicht fassen. Nur manchmal, immer seltener, hatte er Albträume. Ayana wurde
dann wach und streichelte ihn. Sie sagte, es gebe in ihrer Sprache keine Vergangenheit.
Michalka war in den Jahren mit ihr sanftmütig und ruhig geworden.
     
     
    Irgendwann wurden die Behörden
auf ihn aufmerksam. Sie wollten seinen Pass sehen. Sein Visum war längst
abgelaufen, er lebte schon seit sechs Jahren in Äthiopien. Sie waren höflich,
bestanden aber darauf, dass er in die Hauptstadt müsse, um die Sache zu klären.
Michalka hatte ein schlechtes Gefühl, als er sich verabschiedete. Dereje
brachte ihn zum Flughafen, seine Familie winkte ihm nach, Ayana weinte.
     
    In Addis Abeba wurde er auf
die deutsche Botschaft geschickt. Dort sah ein Beamter in den Computer und verschwand
mit seinem Pass. Michalka musste eine Stunde warten. Als der Beamte wieder
erschien, hatte er ein ernstes Gesieht und brachte zwei Wachleute mit. Er
wurde festgenommen, der Beamte las ihm den Haftbefehl eines Richters in
Hamburg vor. Banküberfall, überführt durch Fingerabdrücke, die er auf dem
Tresen der Bank hinterlassen hatte. Seine Fingerabdrücke waren gespeichert,
weil er einmal in eine Schlägerei verwickelt gewesen war. Michalka versuchte
sich loszureißen. Er wurde zu Boden gebracht, und ihm wurden Handschellen
angelegt. Nach einer Nacht in der Zelle im Keller des Botschaftsgebäudes flog
er zusammen mit zwei Sicherheitsbeamten nach Hamburg und wurde dem Ermittlungsrichter
vorgeführt. Drei Monate später wurde er zur Mindeststrafe von fünf Jahren
verurteilt. Das Urteil war milde, weil die Tat lange zurücklag und Michalka
keine Vorstrafen hatte.
     
    Er konnte Ayana nicht
schreiben, weil es noch nicht einmal eine Adresse gab. Die deutsche Botschaft
in Addis Abeba konnte oder wollte ihm nicht weiterhelfen. Natürlich gab es in
dem Dorf kein Telefon. Er hatte kein Foto. Er sprach kaum und wurde zum
Einzelgänger. Tag reihte sich an Tag, Monat an Monat, Jahr an Jahr.
     
     
    Nach drei Jahren bekam er zum
ersten Mal Vollzugslockerungen und unbegleiteten Haftausgang. Er wollte sofort
nach Hause, er konnte nicht ins Gefängnis zurück. Aber er hatte weder das Geld
für den Flug noch einen Pass. Er wusste, wie er beides bekommen konnte. In der
Haft hatte er die Adresse eines Fälschers in Berlin aufgeschnappt. Also
trampte er dorthin. Inzwischen wurde wieder nach ihm gefahndet. Er fand den
Fälscher, aber der wollte zunächst Geld sehen. Michalka hatte kaum Geld.
     
    Er war verzweifelt. Er lief
drei Tage, ohne zu essen und zu trinken, durch die Stadt. Er rang mit sich, er
wollte keine neue Straftat begehen, aber er musste nach Hause, zu seiner
Familie, zu Ayana und Tiru.
    Schließlich kaufte er am
Bahnhof von seinem letzten Hartgeld eine Spielzeugpistole und ging in die
erste Bank, die er sah. Er sah die Kassiererin an, die Pistole hielt er mit dem
Lauf nach unten. Sein Mund war trocken. Er

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