von Schirach, Ferdinand
sagte ganz leise: »Ich brauche Geld,
bitte entschuldigen Sie, ich brauche es wirklich.« Sie verstand ihn erst nicht,
dann gab sie ihm das Geld. Später sagte sie, sie habe »Mitleid« gehabt. Sie
nahm das Geld von dem vorbereiteten Stapel für Überfälle und löste damit einen
stillen Alarm aus. Er nahm es, legte die Pistole auf den Tresen und sagte: »Es
tut mir so leid. Bitte verzeihen Sie mir.« Vor der Bank war ein Stück grüner
Rasen. Er konnte nicht mehr wegrennen. Er ging ganz langsam. Dann setzte er
sich und wartete einfach ab. Michalka war zum dritten Mal am Ende.
Ein Zellengenosse Michalkas
bat mich, den Fall zu übernehmen, er kenne Michalka aus Hamburg und übernehme
die Kosten der Verteidigung. Ich besuchte Michalka in der Justizvollzugsanstalt
Moabit. Er legte mir den Haftbefehl auf dem üblichen roten Papier, das die
Justiz dafür benutzt, vor: Bank-Überfall und dazu eine offene Reststrafe von 20 Monaten aus der alten
Verurteilung in Hamburg. Eine Verteidigung schien sinnlos, Michalka war auf
frischer Tat gefasst, und er war wegen des gleichen Deliktes bereits bestraft
worden. Es ging also nur um das Strafmaß, und das würde natürlich fürchterlich
hoch sein. Aber irgendetwas beeindruckte mich an Michalka, irgendetwas war an
diesem Fall anders. Der Mann war nicht der typische Bankräuber. Ich übernahm
seine Verteidigung.
In den kommenden Wochen besuchte
ich Michalka oft. Anfangs redete er kaum mit mir. Er schien mit allem
abgeschlossen zu haben. Nach und nach öffnete er sich ein wenig und erzählte
langsam seine Geschichte. Er wollte nichts preisgeben, er glaubte, er verrate
seine Frau und seine Tochter, wenn er im Gefängnis ihre Namen ausspräche.
Die Verteidigung kann
beantragen, dass ein Psychiater oder ein Psychologe den Angeklagten untersucht.
Das Gericht wird einem solchen Antrag folgen, wenn es gelingt, Tatsachen
vorzutragen, die nahelegen, dass der Angeklagte an einer psychischen Krankheit,
einer Störung oder Auffälligkeit leidet. Natürlich ist das Gutachten des
Sachverständigen für das Gericht nicht bindend - der Psychiater kann nicht entscheiden, ob ein Angeklagter
schuldunfähig oder vermindert schuldfähig ist. Nur das Gericht kann darüber
urteilen. Aber der Gutachter hilft dem Gericht, er liefert den Richtern die
wissenschaftlichen Grundlagen.
Es war offensichtlich, dass Michalka
bei der Tat an einer Störung litt, niemand entschuldigt sich bei einem
Bankraub, setzt sich mit der Beute auf eine Wiese und wartet auf seine
Festnahme. Das Gericht beauftragte einen psychiatrischen Sachverständigen, und
zwei Monate später lag das schriftliche Gutachten vor. Der Psychiater ging
davon aus, dass eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit vorlag. Alles Weitere
würde er in der Hauptverhandlung vortragen.
Der Prozess fand fünf Monate
nach Michalkas Verhaftung statt. Die Strafkammer war neben der Vorsitzenden mit
einem jüngeren Berufsrichter und zwei Schöffinnen besetzt. Die Vorsitzende
hatte lediglich einen Tag für die Verhandlung angesetzt.
Michalka gestand den
Banküberfall. Er sprach zögernd und zu leise. Die Polizisten berichteten, wie
sie Michalka festgenommen hatten. Sie schilderten, wie er auf dem Rasen gesessen
hatte. Der Polizeihauptmeister, der ihn »fixiert« hatte, sagte, Michalka habe
keinen Widerstand geleistet.
Die Kassiererin sagte, sie
habe keine Angst gehabt, der Räuber habe ihr eher leid getan, er habe so
traurig ausgesehen. »Wie ein Hund«, sagte sie. Der Staatsanwalt fragte sie, ob
sie jetzt Angst bei ihrer Arbeit habe, ob sie krankgeschrieben worden sei, ob
sie eine Opfertherapie habe machen müssen. Sie verneinte alles. Der Räuber sei
einfach ein armer Kerl gewesen, höflicher als die meisten Kunden. Der
Staatsanwalt musste diese Fragen stellen: Hätte die Zeugin wirklich Angst
gehabt, wäre das ein Grund für eine höhere Strafe.
Die Spielzeugpistole wurde in
Augenschein genommen, ein billiges Modell aus China. Sie wog nur ein paar Gramm
und sah nicht gefährlich aus. Eine Schöffin nahm sie in die Hand, sie entglitt,
fiel zu Boden, und ein Stück Plastik platzte ab. Eine solche Waffe konnte man
kaum ernst nehmen.
Nachdem die Tat selbst in
einem Verfahren aufgeklärt ist, ist es üblich, dass der Angeklagte zu seinen
»persönlichen Verhältnissen« befragt wird.
Michalka war die ganze Zeit
über fast völlig abwesend, es war mühsam, ihn zu bewegen, wenigstens
ansatzweise sein Leben zu erzählen. Nur ganz
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