Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
von Schirach

von Schirach

Titel: von Schirach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schuld
Vom Netzwerk:
dem Hammer elf Zähne
zerschlagen.
     
    An diesem Abend fiel tatsächlich noch Schnee. Es war Weihnachten.
     
    Der Schlüssel
     
    Der Russe sprach deutsch mit schwerem Akzent. Sie saßen zu dritt in einem
Cafe in Amsterdam auf drei roten Sofas. Der Russe trank seit Stunden Wodka,
Frank und Atris Bier. Sie konnten das Alter des Russen nicht schätzen,
vielleicht 50, das
linke Augenlid hing seit einem Schlaganfall herunter, an seiner rechten Hand
fehlten zwei Finger. Er sei Berufssoldat in der Roten Armee gewesen, sagte
er, »Tschetschenien und so«, und hielt seine verstümmelte Hand hoch. Er sprach
gerne über den Krieg. »Jelzin ist eine Frau, aber Putin, Putin ist ein Mann«,
sagte er. Jetzt sei Marktwirtschaft, das hätten alle begriffen,
Marktwirtschaft heiße, dass man alles kaufen könne. Ein Abgeordnetenplatz in
Russland koste drei Millionen Dollar, ein Ministerposten sieben Millionen. Im
Krieg mit den Tschetschenen sei alles besser gewesen, ehrlicher, das seien
Männer gewesen. Er hätte die Tschetschenen respektiert. Er habe viele von ihnen
getötet. Bei denen würden schon die Kinder mit Kalaschnikows spielen, es seien
gute Kämpfer, zäh. Darauf müsse man trinken. Sie tranken viel an diesem Abend.
    Sie hatten dem Russen lange zuhören müssen. Endlich kam er zu den Pillen.
Chemiker aus der Ukraine würden sie herstellen, deren Staatsbetrieb sei
aufgelöst worden, sie seien arbeitslos geworden. Sie hätten privatisieren
müssen, ihre Frauen und Kinder müssten essen. Der Russe hatte noch alles
Mögliche angeboten: Maschinengewehre, Haubitzen, Granaten. Von einem Panzer
hatte er ein Foto im Geldbeutel dabeigehabt. Er hatte das Foto zärtlich
angesehen und dann herumgereicht. Er hatte gesagt, er könne auch Viren
beschaffen, aber das sei ein schmutziges Geschäft. Alle hatten genickt.
     
    Frank und Atris wollten keine Waffen, sie wollten die Pillen. In der Nacht
zuvor hatte sie die Drogen an drei Mädchen ausprobiert, die sie aus einer
Diskothek mitgenommen hatten. Die Mädchen hatten halb auf Englisch, halb auf
Deutsch gesagt, sie würden Geschichte und Politik studieren. Sie waren ins
Hotel gefahren. Sie hatten getrunken und herumgealbert. Frank und Atris hatten
ihnen die Pillen gegeben. Atris musste immer noch an die Dinge denken, die sie
dann gemacht hatten. Die Rothaarige hatte vor Frank auf dem Tisch gelegen und
sich die Eisstücke aus dem Champagnerkühler auf ihr Gesicht geschüttet. Sie
hatte geschrien, ihr sei zu heiß und dass man sie schlagen solle, aber Frank
hatte keine Lust dazu gehabt. Er hatte vor dem Tisch mit heruntergelassenen
Hosen gestanden und eine riesige Zigarre geraucht, seine Hüften hatten sich in
dem immer gleichen langsamen Rhythmus bewegt, die Beine des Mädchens hatten auf
seiner Brust gelegen. Dabei hatte er einen komplizierten Vortrag über die
Auflösung des Kommunismus und deren Folgen für die Drogenwirtschaft gehalten.
Er war wegen der Zigarre schwer zu verstehen. Atris hatte auf dem Bett gelegen
und ihm zugesehen. Nachdem er den beiden Mädchen zwischen seinen Beinen
verboten hatte weiterzumachen, waren sie eingeschlafen, eine hatte noch im
Schlaf seinen rechten großen Zeh im Mund. Atris war klar geworden, dass die
Pillen ideal für Berlin sein würden.
    Der Russe sprach jetzt über die Drogenhunde, er wusste alles über sie. »In
Südkorea klonen sie die Viecher sogar, weil sie so teuer sind«, sagte er. Man
müsse einen Metallkasten ins Auto schweißen und den präparieren, man müsse
Müllsäcke, Kaffee, Waschpulver reinstopfen, alles durch dicke Folien getrennt.
Nur so hätte man eine Chance, dass die Hunde nichts riechen würden. Dann erzählte
er wieder vom Krieg. Er fragte Atris und Frank, ob sie schon einmal getötet
hätten. Frank schüttelte den Kopf.
    »Mit den Tschetschenen ist es wie mit Chips«, sagte der Russe.
    »Was?«, fragte Frank.
    »Chips. Mit den Tschetschenen ist es wie mit einer Tüte Chips.«
    »Verstehe ich nicht«, sagte Frank.
    »Wenn du einmal damit angefangen hast, sie zu töten, kannst du nicht mehr
aufhören, bis alle weg sind. Du musst sie alle umbringen. Jeden Einzelnen.«
Der Russe lachte. Plötzlich wurde er ernst. Er starrte auf seine verkrüppelte
Hand. »Sonst kommen sie wieder«, sagte er.
    »Ah«, sagte Frank. »Die Rache der Chips ... Können wir jetzt mal weiter
über die Pillen reden?« Er wollte nach Hause.
    Der Russe schrie Frank an: »Du dummes Arschloch, warum hörst du nicht zu?
Schau deinen Freund an. Er ist ein

Weitere Kostenlose Bücher