Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
von Schirach

von Schirach

Titel: von Schirach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schuld
Vom Netzwerk:
Stück Fleisch, aber er hört wenigstens zu.«
    Frank sah zu Atris, der in der Ecke des Sofas saß. Auf Atris' Stirn trat
eine dunkelblaue Ader hervor. Frank kannte die Ader und wusste, was jetzt
folgen würde.
    »Wir reden hier über den Krieg, und du hast nicht die Zeit zuzuhören? So
können wir keine Geschäfte machen. Ihr seid Idioten«, sagte der Russe.
    Atris stand auf, er wog no Kilogramm. Er hob den Glastisch an einer Seite
hoch und stellte ihn hochkant, die Flaschen, Gläser und Aschenbecher rutschten
zu Boden. Er ging auf den Russen zu. Der Russe sprang auf, er war schneller als
erwartet. Er zog aus dem Hosenbund eine Pistole und presste die Mündung auf
Atris' Stirn.
    »Ruhig, mein Freund«, sagte er. »Das ist eine Makarov. Sie macht große
Löcher, sehr große, besser als diese amerikanischen Spielzeuge. Also setz dich,
oder es gibt eine Riesensauerei.«
    Atris' Gesicht war aufgedunsen und rot. Er ging einen Schritt zurück. Auf
seiner Stirn hatte die Mündung der Pistole eine weiße Druckstelle hinterlassen.
    »Na also. Setzt euch wieder. Wir müssen trinken«, sagte der Russe. Er rief
nach der Bedienung. Sie setzen sich und tranken weiter.
    Es würde ein gutes Geschäft werden. Sie würden viel Geld verdienen, es
würde keine Probleme geben. Sie mussten sich nur jetzt zusammenreißen, dachte
Atris.
     
    Gegenüber des Cafes war eine Bushaltestelle. Die Frau auf der Wartebank
fiel niemandem auf. Sie hatte die Kapuze ihres schwarzen Pullis über den Kopf
gezogen, in der Dunkelheit unterschied sie sich kaum von der Umgebung. Sie
stieg in keinen der Busse. Sie schien zu schlafen. Nur als Atris aufgesprungen
war, hatte sie kurz die Augen geöffnet. Sonst bewegte sie sich nicht.
     
    Atris und Frank bemerkten sie nicht. Sie sahen auch nicht, wie der Russe
ihr ein kurzes Zeichen gab.
     
    Atris stand auf dem Balkon der Wohnung auf dem Kurfürstendamm und sah dem
dunkelblauen Golf nach. Es nieselte. Frank würde in 24 Stunden aus Amsterdam zurück
sein, sie würden die neue Designerdroge haben, besser als alles andere auf dem
Markt. Der Russe hatte gesagt, er würde ihnen die Pillen auf Kommission geben,
sie müssten ihm erst in drei Wochen 250 000 Euro zahlen.
     
    Atris drehte sich um und ging zurück in Franks Wohnung. Es war ein
klassischer Berliner Altbau, 3,80 Meter hohe Wände, Stuck, Parkett, fünf Zimmer. Sie
waren fast leer. Franks Freundin war Innenarchitektin. Sie hatte gesagt: »Die
Räume müssen wirken.« Dann hatte sie die Sofas und Stühle und alles andere
abtransportieren lassen. Jetzt mussten alle auf grauen Filzwürfeln mit
winzigen Lehnen sitzen, Atris fand es unbequem.
     
    Frank hatte Atris vor seiner Abfahrt gesagt, was er zu tun hatte. Seine
Anweisungen waren klar und einfach gewesen. Frank sprach immer klar und einfach
mit ihm. »Es ist nicht schwer, Atris, du musst nur genau zuhören. Erstens: Lass
den Schlüssel nicht aus den Augen, zweitens: Pass auf den Maserati auf, und
drittens: Verlass die Wohnung nur, wenn Buddy scheißen muss.« Buddy war Franks
Dogge. Frank hatte es ihn wiederholen lassen. Fünfmal. »Schlüssel, Maserati,
Buddy.« Er würde es nicht vergessen. Atris bewunderte Frank. Frank machte sich
nie über ihn lustig. Er hatte ihm immer gesagt, was er machen soll, und Atris
hatte es immer gemacht. Immer.
     
    Mit vierzehn Jahren war Atris in seiner Klasse der Schwächste gewesen, und
im Wedding bekam der Schwächste die Prügel. Frank hatte ihn beschützt. Frank
hatte ihm auch das erste Anabolikum besorgt, er hatte gesagt, dass Atris damit
stark würde. Atris wusste nicht, woher Frank das Zeug hatte. Als er zwanzig
war, stellte der Arzt einen Leberschaden bei ihm fest. Sein Gesicht war von
Pusteln und nässenden Knoten überzogen. Als er zweiundzwanzig war, waren seine
Hoden fast nicht mehr vorhanden. Aber Atris war inzwischen stark, ihn
verprügelte niemand mehr, und er glaubte die Gerüchte nicht, dass die Anabolika
aus der Viehzucht stammten.
     
    Heute würde er sich ein paar DVDs ansehen, Bier trinken und ab und zu mit
der Dogge rausgehen. Der Maserati stand unten auf der Straße. Auf dem
Küchentisch lag der Schließfachschlüssel. Frank hatte alles auf einen Zettel
geschrieben: »18:00 Uhr
Buddy füttern.« Atris mochte das Riesentier nicht, es sah ihn immer so komisch
an. Frank hatte einmal gesagt, er habe auch Buddy Anabolika gegeben,
irgendetwas sei dabei schiefgelaufen, der Hund sei einfach nicht mehr wie
früher. Aber bei ihm, bei Atris, den jeder für

Weitere Kostenlose Bücher