Von sündiger Anmut: Roman (German Edition)
wissen ganz genau, dass er von mir bestimmt nichts will.«
»Wissen Sie so genau, was er will?«
»Heute Abend wollte er, dass ich ein Lied aussuche, das er nach dem Essen vorzutragen beabsichtigt. Können Sie sich das vorstellen? Normalerweise singen nur die Damen.«
»Lord Thomas neigt dazu, immer das zu tun, was ihm gerade in den Sinn kommt, ohne sich großartig Gedanken über die Folgen zu machen.«
»Ich werde mir meine eigene Meinung bilden müssen. Aber ich danke Ihnen, dass Sie mir gesagt haben, wie Sie über ihn denken.« Mary Anne nickte höflich und entfernte sich, eine mehr als verwunderte Elizabeth zurücklassend.
Ihr fiel auf, dass Wythorne sie beobachtete, und als er sich ihr nach dem Essen näherte, schlug ihr das Herz bis zum Hals, und ein Gefühl von Panik machte sich in ihr breit. Wie immer wenn es um Männer ging. Außer natürlich sie traf sie am Billardtisch. Das war etwas anderes, da befand sie sich auf vertrautem Terrain.
»Miss Derby«, sagte er und nickte ihr zu.
»Mylord«, erwiderte sie mit fester Stimme. »Ich warte immer noch auf Ihr Lied.«
Er lachte leise. »Ich dachte, wir unterhalten uns zuerst über den Abend in der Oper.«
Sie erinnerte sich daran, wie er damals mit finsterer Miene den Streit zwischen ihrem Bruder und Elizabeth aus der Ferne verfolgte. Wollte er sie vielleicht für sich? Es kam ihr vor, als hielte die ganze Stadt Elizabeth für den Inbegriff von Weiblichkeit.
»Gut. Mich interessiert sowieso, warum sie meinem Bruder und seiner Verlobten nachspioniert haben«, sagte Mary Anne.
Er zog eine Augenbraue hoch und lächelte sie an. »Eine Frau, die sagt, was sie denkt – das gefällt mir. Und es ist einer der Gründe, warum ich Lady Elizabeth so schätze. Ich habe ihr einmal den Hof gemacht.«
»Hat das nicht jeder Mann?«, entgegnete Mary Anne leichthin und musste an Elizabeths Warnungen denken.
»Ich habe sogar um ihre Hand angehalten«, fuhr er mit dünnem Lächeln fort, »aber sie hat mich abgewiesen.«
Es überraschte Mary Anne, dass er ihr etwas so Persönliches erzählte: »Das war bestimmt sehr kränkend für Sie. Bestimmt hielten Sie sich für den perfekten Bewerber um die Hand einer Lady von herzoglichem Geblüt.«
Er stieß ein freudloses Lachen aus. »Das muss ich wohl tatsächlich angenommen haben, denn die Zurückweisung war ein herber Schlag für meinen Stolz.«
»Und das ist der Grund, warum Sie den beiden nachspionieren?«
»Sagen wir es so: Ich wollte die beiden zusammen erleben, um mir darüber klar zu werden, was ich von ihnen als Paar halte. Denn wenn eine Frau mich haben kann und sich stattdessen für einen Bürgerlichen entscheidet …« Er grinste und spreizte die Finger.
»Sie sind schon ein besonderer Typ, Mylord.« Sie konnte es nicht fassen, dass sie sich so freimütig mit einem Mann unterhielt. Es war beängstigend und befreiend zugleich.
Er schaute sie erstaunt an, und sie dachte, dass nicht viele Frauen so offen mit ihm redeten. Nicht einmal Elizabeth vermutlich.
»Ich habe Ihnen mein Innerstes offenbart«, sagte er. »Jetzt sind Sie an der Reihe. Warum haben Sie die beiden beobachtet?«
Sie zögerte. »Sie haben gestritten – worüber, das weiß ich nicht, aber ich will, dass mein Bruder glücklich wird.«
»Weil Ihnen wie mir klar ist, dass diese Verbindung ungewöhnlich ist.« Er schaute sich um, um sicherzugehen, dass keiner in der Nähe war. »Sind die beiden denn glücklich?«
»Ich kann nur für meinen Bruder sprechen – ja, er ist glücklich.«
Eine Schar junger Damen beendete das Gespräch. Sie umringten Thomas Wythorne und forderten den versprochenen Liedvortrag ein. Als er schließlich mit seinem tiefen, weichen Bariton zu singen anfing, ertappte Mary Anne sich dabei, dass es genauso faszinierend klang wie seine ein wenig träge, dabei sinnliche Sprechstimme. Elizabeth hingegen beobachtete den Vortrag mit völlig ausdrucksloser Miene, während Peter seinerseits sie nachdenklich musterte.
Was ging hier vor, fragte Mary Anne sich.
Spät am Abend, nachdem die Gäste seiner Verlobungsfeier sich verabschiedet hatten, suchte Peter noch seinen Club auf, wo er zu seiner großen Erleichterung auch Lord Thurlow antraf. Endlich ein Mensch, mit dem er offen reden konnte.
Er nahm gegenüber dem jungen Viscount Platz, der seine Zeitung zusammenlegte und ihn anlächelte. »Guten Abend, Derby.«
Im Laufe der vergangenen Monate hatte Peter gelernt, Thurlows Meinung in jeder Hinsicht zu vertrauen, und obwohl sich das
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