Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
Zuflucht. Es ist sehr hilfreich, Sterbende, die dafür offen sind, entsprechend anzuleiten, und beim Betreuer schafft das Entstandene auch wieder mehr Raum im Geist.
Gemeinsam mit ihren Freunden schloss meine todkranke Schülerin Sys jeden Abend ihren Tag damit ab, die Buddhas mit ihrer gewohnten Meditation herbeizurufen. Auf diese Weise erinnerten sie sich an die Belehrungen ihrer Lehrer und äußerten Wünsche für all die Kranken, die viel schwierigeren Bedingungen ausgesetzt waren als sie. Für alle Beteiligten war dieses Ausrichten auf das Wesentliche ein fester Bestandteil des Tagesablaufes, und diese jahrelange Gewohnheit zeigte in diesen Tagen ihre Bedeutung. Trotz der Umstände vermochten sie ihrer Umgebung Freude und Kraft zu schenken, und sie wurden schnell zu einer Besonderheit in der Klinik. Das Pflegepersonal wurde immer wieder gefragt, wer das denn sei und wo man ihren Pflegedienst bestellen könnte. Der Segen war offensichtlich für alle spürbar.
Weisheit
Großzügigkeit schafft Offenheit und Verbindungen, die durch umsichtiges Verhalten gefestigt werden. Mittels Geduld kann man diese erhalten und absichern, und die freudige Tatkraft lässt alles wachsen. Die Meditation schenkt einem den nötigen Abstand bei Schwierigkeiten und stärkt die Einstellung, zum Besten der Wesen zu arbeiten. Die so gewonnene Freiheit wird einen auf jeden Fall glücklicher und bewusster leben lassen. Die Tibeter sehen deswegen die fünf eben beschriebenen Paramitas oder »Befreienden Taten« als starke Beine, die gut laufen können, aber nur das Ziel erreichen, wenn die Augen der Weisheit – als sechstes – dazukommen. Die Augen können wiederum gut sehen, aber ohne Beine gelangen sie nirgendwohin. Weltliche und bedingte Weisheiten lehrt man in Schulen und Universitäten. Sie helfen einzelnen Menschen wie ganzen Völkern, besser zu leben und mehr für andere tun zu können. Vor allem sind die in westlichen Ländern entwickelten idealistischen Vorstellungen und unterscheidenden Fähigkeiten – wenn ohne Aberglauben genutzt und mit menschlicher Reife verbunden – wertvolle Helfer bei der Suche nach dem eigenen Erleber. Wie schön, gesund und frei sie auch die Welt gestalten mögen: Unser Nutzen daraus hört schlagartig mit dem Tod auf – sie sind eben weltlich.
Die letztendliche Weisheit ist zeitlos und zielt auf den Geist selbst. Sie entsteht aber erst durch richtig angeleitete Meditation. Im Labor des Geistes wird durch Vertiefung entdeckt, dass jede Erscheinung zusammengesetzt und vergänglich ist und deswegen »leer« von dauerhafter Eigennatur. Sucht man nach dieser Einsicht den Erleber dieser Erfahrung, sind die Hände noch leerer: Man findet nur Raum. Was erfährt, hat eben keine dinglichen Merkmale, weder Größe, Breite, Gewicht noch Farbe oder Geschmack. Bevor man sich aber deswegen für einen Kurs in Nihilismus oder dialektischen Materialismus anmeldet, vielleicht noch eine letzte Betrachtung: Es wird ja erlebt!
Wenn etwas erfährt, was deutlich auch kein Ding ist, kann der Erleber auch nicht vergehen. Also ist man zeitlos und unzerstörbar und sollte lieber das Leben feiern und anderen nutzen.
Was die Welt – sowohl im Großen als auch im Kleinen – braucht, ist ein kraftvolles, vorausschauendes Wirken ohne Störgefühle. Das schafft man mit Sicherheit, wenn man durch die Unterstützung eines Sterbenden vergisst, dass man etwas für ihn tut, und die Untrennbarkeit des Ganzen erkennt. Das ist ein Riesenschritt zum Erwachsenwerden: Die Weisheit beginnt, sich zu entfalten, weil ein Paket von Selbstlosigkeit, guten Wünschen, Geduld, Kraft, Wissen, Fähigkeit und ein stabiler Geist mitfühlend für jemanden eingesetzt wird. In der Zeit des Verfalls eines Körpers vor sich kann man erkennen, dass nichts »an sich« ist und dennoch alles erscheint – das ist höchste Belehrung!
Sterben als Vorgang
Für die eigene Vorbereitung auf den Tod ist das Wissen um die inneren Vorgänge in Körper und Geist ebenso hilfreich wie für Menschen, die andere beim Sterben begleiten. Weiß man, was beim Sterben zu erwarten ist, können die Zustände genutzt und Ängste gezielt abgebaut werden.
Die Auflösung der Körperelemente kann bei einem Unfall plötzlich erfolgen, aber bei einer Krankheit auch Tage, Wochen oder Monate dauern. Ohne Zugabe von Schmerzmitteln sieht der Sterbeverlauf von außen betrachtet in etwa so aus:
Wenn sich, wie im vorigen Kapitel ausführlich beschrieben, das Erd-Element in das
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