Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
festgelegt und auch bewertet. Am Beispiel von Sokrates wird deutlich, wie wesentlich die Sichtweise dabei ist: Er (468–399 v. Chr. und etwa zeitgleich mit Buddha) saß eines Tages auf einer Mauer am Rande eines Marktplatzes, als ein Mann an ihm vorbeistürmte, kurz darauf gefolgt von einer aufgebrachten Horde knüppelschwingender Männer. Diese schrien zu Sokrates: »Halt ihn fest, er ist ein Mörder!« – »Aha, er ist ein Metzger.« – »Nein«, entgegnete einer hastig, »er hat einen Menschen getötet!« – Ruhig meinte Sokrates daraufhin: »Ach so, er ist ein Soldat.« – Die Meute, schon damals echte Griechen, hielt verdutzt inne und erwiderte: »Nein, nein, er hat einen Menschen mit Absicht umgebracht!« – »Ja, dann verstehe ich«, lächelte Sokrates, »so muss er ein Henker sein.« Inzwischen war der flüchtende Mann in den Gassen verschwunden, und die Verfolger blieben verwirrt zurück, als Sokrates aufstand und sich entfernte.
Auch im Buddhismus kann das Töten, das selbstverständlich allgemein viel Leid schafft, aus einem größeren Zusammenhang bewertet werden. In einem seiner letzten 500 Leben vor der Erleuchtung tötete Buddha selbst einen Mann, der dabei war, 500 andere umzubringen. Er tat das einerseits, um ihn vor weiteren schlechten Taten und somit einem sehr schwierigen Karma zu schützen, andererseits, um viele andere Leben zu retten. Es war gefühlsökonomisch das Richtige und nutzte allen außer ihm selbst.
Im Falle der Sterbehilfe, die einige Staaten den Bürgern freistellen [23] , kommt ein riesiges Feld von äußeren wie inneren Bedingungen zusammen, und man kann nur raten, dabei keine eigennützigen Wünsche zu hegen, was aber nicht vor unheimlichen Typen schützt, die sich gern als Herrscher über Leben und Tod betrachten, wie es in Altersheimen manchmal der Fall ist. Wirklich gesund und altruistisch kann man wohl nur dort handeln, wo eine reife Menschlichkeit besteht und kein Mangel herrscht. In Moskau vertrat ich vor einigen Jahren in einer Fernsehrunde zu diesem Thema das buddhistische Wissen. Hier einigten sich alle Beteiligten wie selbstverständlich darauf, dass Sterbehilfe in Russland nicht erlaubt werden dürfe: Wegen der Wohnungsnot im Lande würden Ärzte tatsächlich bereits bestochen, Sterbehilfe zu leisten, nur um an eine ersehnte Wohnung zu kommen. Die Versuchung für Familienangehörige, das Gleiche zu tun bei alternden oder kranken Verwandten, wäre dann nur eine Frage der Zeit.
Organspende
Jährlich werden in Deutschland etwas mehr als tausend Menschen Organe entnommen [24] , über viertausend [25] bekommen Organe eingesetzt. Von Toten können neben Herz, Herzklappen, Leber, Lunge und Blutgefäßen auch Gehörknöchel, Hornhaut der Augen, Knochengewebe, Sehnen und Hirnhaut entnommen werden. Der Mensch ist so gesehen ein riesiges Ersatzteillager, und jeder ist dabei ein möglicher Geber oder Empfänger eines lebenswichtigen Organs. Voraussetzung für eine Organspende ist die eindeutige Feststellung des Hirntodes, denn erst mit dessen Eintreten beginnt bei entsprechender Zustimmung zur Organspende die Entnahme. Organspende ist eines der großen strittigen Themen der gegenwärtigen Medizin, unter anderem weil die schnelle Entwicklung im medizinisch-technischen Bereich einen Umgang mit dem Menschen und seinem Körper ermöglicht, der die als selbstverständlich angesehenen Ordnungen und die bisherigen Grenzen zwischen Leben und Tod auflöst.
Aus buddhistischer Sicht ist es sehr nützlich, einen Spenderausweis zu besitzen, um im Falle eines frühen Todes anderen mit seinen gesunden Organen ein verbessertes oder längeres Leben schenken zu können. Fühlt man sich mit dieser Vorstellung aber unwohl, sollte man sich auf keinen Fall unter Druck setzen oder sich für eine Gewebespende entscheiden, denn grundsätzlich kann das Gewebe auch deutlich bis zu 72 Stunden nach dem biologischen Tod entnommen werden. [26] Jeder kann und soll sterben, wie er will, und kann man anderen durch den eigenen Tod das Leben verlängern, ist das großzügig. Genauso sinnvoll ist aber der Wunsch, ungestört den Sterbeprozess bewusst zu durchlaufen, um dann mit den gelernten Meditationen Befreiung zu erreichen. Die Hilfe für alle Wesen von dieser Bewusstseinsebene aus ist unermesslich.
Dass mutige und mitfühlende Menschen bereit sind, ihren Körper nach dem Ableben zum Nutzen anderer zu verschenken, ist großartig und lobenswert. Man erhält zusätzlich einen letzten Schub guten
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