Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)

Verbindung zu einem segenshaltenden buddhistischen Lehrer, wird man von demjenigen der sechs möglichen geistigen Bereiche angezogen, der den früheren Gedanken, Worten und Handlungen entspricht, und findet dort sein nächstes Leben.

Die Wiedergeburt in den Daseinsbereichen
    Die sechs Bewusstseinsbereiche, in denen man wiedergeboren werden kann, werden in der buddhistischen Terminologie gerne als Welten beschrieben, ähnlich wie im Christentum als tatsächlich vorhandene Himmel und Höllen, denn sie stellen sich für den Betreffenden als überaus wirklich dar. Da es im Buddhismus keine vom Erleber getrennten Welten gibt, handelt es sich auch hier um bedingte Bewusstseinszustände. Sie sind nicht von etwas Äußerem bzw. einer höheren Macht geschaffen, sondern das Ergebnis der Einstellungen und Handlungen in vorherigen Leben. So kann man als Gott, Halbgott, Mensch, Tier, Hungergeist oder mit Verfolgungswahn wiedergeboren werden.
    Obwohl sich die klassischen Beschreibungen der Daseinsbereiche mitunter recht fremdartig anhören, verwende ich im Folgenden die eher mittelalterlich wirkenden Bilder und Begriffe, so wie meine Frau Hannah und ich sie von unserem Lehrer Kalu Rinpoche im Winter 1970/71 in Sonada im Osthimalaja erhielten. Sie vermitteln einerseits ein Kulturbild, andererseits halten sie den Stil der Übertragung lebendig. Es ist gut, sich während des Lesens daran zu erinnern, dass es nicht um die Taten eines unangenehmen, richtenden Gottes geht, sondern um selbsterzeugte Wahrnehmungen und Rückkopplungen, ähnlich wie das unendliche Spiel des Geistes in Träumen und bei Rauscherlebnissen.
    Welche Weiten an unerleuchteten Eindrücken in einem Menschenkörper erfahren werden, beschreibt Buddha als das Leid, das durch Geburt, Krankheit, Alter und Tod entsteht. Das ständige Streben nach Glück, das Vermeidenwollen von Leid, das Festhalten von Angenehmem und das Ertragenmüssen von Unvermeidbarem halten den Geist beschäftigt. Man erfährt dies zum Beispiel beim Vorbeifahren an prächtigen Häusern, in den Klatschgeschichten der Regenbogenpresse, im Leben strebsamer Bürger, die keine Dauerwerte finden, bei Mitmenschen, die nur die gröbsten Reize im Leben suchen, bei ewigen Gerichtsverhandlungen wegen Geiz und bei Menschen, die sich alles im Leben zum Feind machen.
    Die Bandbreite der vom Geist erzeugten Erscheinungen wird vielleicht am einprägsamsten bei einem Besuch in der Psychiatrie wahrgenommen. Auf kleinstem Raum findet man hier die Wesenszüge und Ausprägungen der sechs Bereiche. Je nach Art der Eindrücke umfassen diese Zustände den ganzen Gefühlsbereich von Wonne über Verwirrung bis Leid. Ihre Grundstimmungen sind die wohlbekannten Störgefühle: Stolz und Besserwisserei, Eifersucht und Missgunst, Begierde und Anhaftung, Verwirrung und Stumpfsinn sowie die Bereiche von Geiz bis Gier und das gesamte Feld des Widerwillens, Zorns und Hasses. Jeden Augenblick beeinflussen die Störgefühle nicht nur das jetzige Leben, sondern legen auch Samen für die künftigen.
    Von dieser Warte aus betrachtet, ist auch Wiedergeburt überhaupt nicht mysteriös. Der Geist – wie ein Spiegel – verhält sich einfach weiter so ähnlich, wie er es schon im jetzigen Leben tut: Ist man sauer, trifft man nur saure Menschen, und wer fröhlich ist, begegnet fröhlichen Menschen. Dieses allgemeine Geheimnis wirkt über den Tod hinaus: Neigungen setzen sich fort und sind die Ursache für zukünftige Erlebnisse.
    Die sechs weltlichen Daseinsbereiche werden gemeinsam als Samsara (sanskr.: das Kommen und Gehen) oder Khorwa (tib.: das Rad) bezeichnet und auf Bildern sehr lebendig, aber übersichtlich als ein Lebensrad mit sechs Feldern dargestellt.
    Abb. 22 Das Rad des Lebens
    Wiedergeburt in den drei Bereichen des Leidens
    Überwiegen im Geist Gefühle und leidvolle Handlungen durch Hass, Neid und Gier, wird man in drei niederen Bereichen wiedergeboren. Am schlimmsten von allen sind die Auswirkungen von Zorn, dem schwierigsten aller Gefühle:
    1. Höllenbereiche – die Welt des Hasses
    Schon im Sterben und verstärkt während des Bardos des Werdens erfahren die, die im Leben sehr zornig waren, die Fehler anderer hervorhoben und ihnen viel Böses wünschten, diese Gefühle verstärkt wieder. Alles, was Breughel, Bosch und Dante in ihren Höllenbildern malten und schilderten, reift in diesem Zustand heran, der wie alle anderen unerleuchteten Erfahrungen zum Glück bedingt und vergänglich ist. Die Tibeter, denen ein