Von Tod und Wiedergeburt (German Edition)
macht.
Weil der Geist sowohl Gewahrsein als auch Energie ist, verlieren unzählige Schleier in Körper, Rede und Geist durch das Hochschicken des Bewusstseins ihren Halt, und schon in diesem Leben kommt einem die Befreiung fühlbar näher. Entsteht diese Gewissheit, wäre zu bedenken, dass bei jeder Wiedergeburt ein Körper und Sinne dabei sind, die Angenehmes genießen und Schmerzvolles nicht mögen. Dadurch entsteht die Fehlvorstellung von einer Trennung zwischen Erleber, Tat und Gegenstand, Störgefühle verbreiten sich, und man macht Fehler.
Ist man aber wild und mag nichts Zorniges, erlebt man bei der Begegnung mit Buddhas Lehre Freude und selbstverständliche Ganzheit, als ob zwei Flüsse ineinanderströmen. Ist man grundsätzlich vertrauensvoll, ist einem das Reine Land nah, und im Tod wird man vielleicht in etwas Tiefbekanntes eintreten.
Während des Sterbens meditieren zu erlernen ist unmöglich. Daher ist es eine große Hilfe, bereits in diesem Leben auf die Traumähnlichkeit aller Dinge aufmerksam gemacht zu werden, diese wenigstens begriffsmäßig verstanden und die Fähigkeit, mit seinem Geist zu arbeiten, über Jahre eingeübt zu haben. Hat der Sterbende die Tendenz, sich selbst zu bemitleiden, ängstlich, wütend oder aufgeregt zu werden, sollte man ihm raten, sich möglichst mitfühlend auf andere auszurichten, dankbar zu sein und sich all des Guten zu erinnern, das ihn mit anderen verbindet.
Wer zu Lebzeiten meditiert hat, kann sich darauf verlassen, dass die erlernte Phowa-Praxis und die Karmapa-Meditation während des Sterbeverlaufs eine wirkliche Zuflucht bilden. Sie halten und schützen einen, und ihre Wirkung ist wunderbar. Man kann dann vertrauensvoll in seiner Mitte ruhen und die Geschehnisse an sich vorbeiziehen lassen, um im entsprechenden Augenblick die richtigen Mittel anzuwenden. Für Nicht-Buddhisten ist es wie eine Einweihung, die Gewissheit des Sterbenden und seine innere Ruhe mitzuerleben.
Im Hinblick auf den sicheren Tod sollte man außerdem möglichst frühzeitig entscheiden, mit den vorhandenen Mitteln zu Lebzeiten Störgefühle und steife Vorstellungen auszuhöhlen und das zeitlose, wonnevolle Gewahrsein zwischen und hinter den Gedanken zu erkennen. Auf jeder Stufe zur vollen Verwirklichung kann man den Wesen um ein Zigfaches besser nutzen. Da nach dem Tod der ungeübte Geist sich aufgrund der fehlenden Sinneseindrücke wie ein Blatt im Wind verhält, nicht meditieren und nur durch die schon verwirklichten Vertiefungen und Segnungen einen Halt finden kann, sollte man sich und anderen beibringen, dass die auftauchenden Bilder vergänglich sind und keine Wirklichkeit besitzen.
Die Anhaftung an unser Leben, ein weiteres großes Hindernis beim Sterben, sollte man möglichst grundlegend loswerden. Sie ist die Hauptursache für jede Todesangst. Dass man nichts mit sich nehmen kann, weder den Körper, den Partner, die Freunde, den Besitz und die vielen großen und kleinen liebgewonnenen Dinge, sollte so klar und früh wie möglich eingesehen werden. Durchgehend sollte man das Gewahrsein durch Sichtweise und Meditation kennenlernen und sich wie immer bestmöglich bewusst sein, dass es etwas Nicht-Dingliches gibt, was zeitlos vom Wesen höchster Wonne ist und alles Äußere wie Innere erfährt: Eben der eigene Geist.
Obwohl man letztlich in jedem der Zwischenzustände nach dem Tod verschiedene Bodhisattva-Ebenen erreichen kann, besteht für Karmapas Schüler die beste Möglichkeit zur Befreiung beim Sterbevorgang. Wenn dieser voll und ganz genutzt wird, wird nichts anderes gebraucht.
Wer täglich auf die Schwarze Krone der Karmapas meditiert und deren Kraftfeld gespürt hat, kann in dem Augenblick, in dem alles schwarz wird, den Raum als seine Krone erleben. Die gekreuzten Dorjes werden dann ein Tor, durch das man ins Kraftfeld tritt. Der Sonnen- und Mondsymbolik zwischen den Streifen mit den Juwelen folgend, bewegt sich das Gewahrsein zwischen den goldenen Wolken nach oben, empfängt den Segen der Langlebensvase, wo die Krone in deren goldenen Stiel übergeht, und verschmilzt schließlich in das Reine Land, den roten Edelstein ganz oben auf der Krone.
Abb. 27 Die Schwarze Krone der Gyalwa Karmapas
Das Bewusste Sterben
D ie grundlegenden Fragen, die man sich zum Ende dieses Buches sicher stellt, sind: Gibt es einen Weg aus dem Kreislauf des Lebens? Ist es vermeidbar, noch unzählige Male wiedergeboren zu werden? Aus welcher Situation heraus kann man anderen Wesen am
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