Von Traeumen entfuehrt (eShort)
gerade ausgeglichen. Gut und Böse ist über die letzten Jahre ins Gleichgewicht gekommen.
Was ganz besonders eins bedeutet: Ich kann mich gemütlich austoben.
Kapitel 2
» T rauriges Mädchen auf zwei Uhr.«
Ich schaue in die Richtung, in die Ambrose nickt und sehe das Mädchen auf der Bank sitzen, wieder die Arme um die Beine geschlungen, den Blick auf das Wasser gerichtet.
»Das wievielte Mal wäre das dann diese Woche?«, frage ich.
»Hm, lass mal überlegen. Wir haben sie letzten Mittwoch gesehen, als ich mit dir und Vin unterwegs war und ihr euch wegen der Kälte angestellt habt wie die kleinen Kinder. Zwei Tage später war sie auch hier, den nächsten Tag nicht, dann allerdings drei am Stück. Das ist also heute das sechste Mal in zwei Wochen, dass ich sie hier sitzen sehe«, überschlägt Ambrose.
»Und vorher ist sie uns noch nie begegnet. So jung wie sie ist, wird sie entweder Verwandte besuchen oder sie ist in die Gegend gezogen. Denn Touristin ist sie ganz sicher nicht … Das verrät allein dieser fürchterliche Gesichtsausdruck. Und dass sie jeden Tag an den gleichen langweiligen Ort kommt, statt sich was Schönes von Paris anzugucken, wie den Eiffelturm zum Beispiel«, sage ich.
Als wir auf einer Höhe mit der Bank sind, verstummen wir und passieren das Mädchen unbemerkt. Sie nimmt uns nie wahr. Vermutlich sieht sie gar nichts. Sie ist wie ein Gespenst, das durch die Welt huscht, ohne eine Spur zu hinterlassen.
»Hier ist niemand«, sagt Ambrose, als wir unter der Brücke ankommen. Es ist zwar nicht mehr so bitterkalt wie letzte Woche, trotzdem ist die Zahl der armen Seelen, die es selbst bei solchen Temperaturen wagen, draußen zu schlafen, nicht wieder gestiegen. Ambrose knackt mit den Fingerknöcheln und rudert mit den Armen, bevor er in seine Boxroutine verfällt, federnd von Seite zu Seite springt und seine Fäuste gegen einen unsichtbaren Gegner schwingt.
Ich setze an, will etwas sagen, unterbreche mich dann doch selbst.
»Was ist?«, fragt Ambrose, während er einen kraftvollen Seitwärtshaken schlägt.
Ich seufze. »Es geht um dieses traurige Mädchen. Kommt es dir auch so vor, dass Vincent …«
»Sie stalkt? Auf jeden Fall!«, beendet Ambrose die Frage für mich.
Ich hätte es nicht so drastisch formuliert, ich wollte bloß wissen, ob Ambrose auch die Veränderung an Vincent aufgefallen ist. Aber er hat natürlich recht. Immer öfter ist die Rue du Bac Teil unserer Patrouillen und sobald wir dem traurigen Mädchen begegnen, besteht Vincent darauf, dass wir sie begleiten, damit sie auch sicher nach Hause kommt.
»Wir sind keine Pfadfinder«, hatte ich ihm beim dritten Mal gesagt. »Es gibt uns nicht, damit wir alten Omis über die Straße helfen. Niemand bedroht dieses Mädchen, und Selbstmord wird sie auch nicht begehen.«
»Ich weiß«, antwortete er. »Aber irgendetwas ist mit ihr. Irgendetwas stimmt nicht.«
»Nichts, wobei du helfen kannst.«
Vincent nickte und nahm meine Worte hin, was aber noch lange nicht hieß, dass sie ihm auch gefielen. Er starrte an dem Gebäude hinauf, bis im zweiten Stock ein Licht anging. Erst dann entspannte er sich zusehends, weil das hieß, dass sie sicher in ihrem Zimmer angekommen war.
»Wer wohnt sonst noch in dem Haus?«, fragte ich, um ihn zu testen.
Ohne überhaupt nachzudenken, antwortete er: »Im Erdgeschoss eine Familie mit zwei kleinen Kindern und einem Hund. Im ersten Stock ein pflegebedürftiges Ehepaar mit drei Miniaturterriern. Im zweiten außer unserem rätselhaften Mädchen noch eine weitere Jugendliche, die ein paar Jahre älter ist als sie, und zwei ältere Herrschaften. Im dritten Stock eine Familie mit einem Säugling und einem Basset Hound. Der vierte Stock ist unbewohnt und ganz oben unter dem Dach brennt nur tagsüber Licht. Wahrscheinlich arbeitet einer der Hausbewohner dort.«
»Du hast das Haus ziemlich gründlich beobachtet«, stellte ich fest.
Er nickte und guckte schuldbewusst.
»Das gehört nicht zu unseren Aufgaben.«
Frustriert fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. »Erzähl es bitte nicht weiter«, bat er.
»Mach ich nicht, aber du musst damit aufhören, Mann. Du hast sie noch nicht mal gerettet und bist schon wie besessen von ihr, mein Lieber. Ich würde sagen, es blinken längst alle Warnleuchten.«
Er zuckte mit den Schultern und sah ziemlich elend aus. »Sie ist ein ziemliches Mysterium.«
»… das du nicht lösen musst«, fügte ich damals hinzu.
Aber dann löst sich das Problem ganz
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