Von wegen Liebe (German Edition)
Jedenfalls stellte er mir kaum Fragen, wenn ich aus dem Haus schlüpfte, um Wesley zu sehen. Bei jedem halbwegs zurechnungsfähigen Vater hätten die Alarmglocken bereits geschrillt, wenn seine Tochter zweimal hintereinander die Ausrede »an einem Aufsatz arbeiten« benutzt hätte, aber viermal hintereinander? Glaubte er ernsthaft, ich würde so lange brauchen, einen dämlichen Aufsatz zu schreiben? Machte er sich wirklich überhaupt keine Sorgen, ich könnte genau das treiben, was ich tatsächlich trieb?
Anscheinend nicht. Jedes Mal wenn ich das Haus verließ, sagte er nur: »Viel Spaß, Hummelchen.«
Aber irgendwie schien diese Ahnungslosigkeit um sich zu greifen. Nicht einmal Casey, die mich seit Jakes Ankunft mit Adleraugen beobachtete, hatte irgendetwas davon gemerkt, was zwischen Wesley und mir lief. Sie zog mich nur ab und zu mit meiner angeblichen heimlichen Schwärmerei für ihn auf. Dabei gab es immer wieder Situationen, in denen ich mir sicher war, dass sie mich ertappt hatte.
Wie zum Beispiel am Freitagabend, als wir in meinem Zimmer waren und uns fürs Nest fertig machten. Das heißt, eigentlich machte sich nur Casey fertig. Ich saß die meiste Zeit auf meinem Bett und schaute ihr dabei zu. Wir hatten das schon tausendmal zelebriert, aber ohne Jess, die gerade jede freie Minute mit ihrem Bruder verbrachte, fühlte sich das Zimmer seltsam leer an. Fast unheimlich.
Jess war so anders als wir. Ich meine, Casey und ich waren schon totale Gegensätze, aber Jess stammte von einem völlig anderen Planeten. Sie war eine unverbesserliche Optimistin. Ihr Glas war immer halb voll. Sie war unser ausgleichendes Element mit ihrer Unbeschwertheit und der naiven Unschuld, die uns gleichzeitig manchmal in den Wahnsinn trieb. Während Casey und ich vielleicht schon ein bisschen zu viel vom Leben gesehen hatten, war Jess in vielerlei Hinsicht immer noch ein Kind. Jungfräulich. Voller Staunen. Sie war unser Sonnenschein und ohne sie war es irgendwie dunkel um Casey und mich.
Ich zählte gerade, wie viele Tage Jake noch in der Stadt war, als Casey sich vom Spiegel wegdrehte und mich ansah. Anscheinend hatte sie beschlossen, dass sie ihre lila Skinny Jeans doch gut fand, nachdem sie sie schon zweimal wieder ausgezogen hatte. (Ich war froh, dass sie mich nicht nach meiner Meinung gefragt hatte, weil ich die Hose nämlich grässlich fand.) »Du gehst viel besser mit der ganzen Jake-Sache um, als ich erwartet hätte, B«, sagte sie.
»Tja also … danke.«
»Ehrlich gesagt hatte ich gedacht, dass es dich fix und fertig machen würde, wenn er mit seiner Verlobten in Hamilton aufkreuzt. Ich hatte damit gerechnet, dass du ausflippen würdest, du weißt schon – Tränen, nächtliche Telefonate, der eine oder andere Nervenzusammenbruch. Stattdessen bist du, keine Ahnung, vollkommen normal. Na ja, so normal Bianca Piper eben sein kann.«
»Vergiss das mit dem danke wieder.«
»Im Ernst.« Sie kam zu mir und setzte sich neben mich. »Geht es dir wirklich okay damit? Du hast dich kaum beklagt, was echt beunruhigend ist, weil du dich eigentlich ständig über alles beklagst.«
»Stimmt gar nicht«, protestierte ich.
»Wenn du’s sagst.«
Ich verdrehte die Augen. »Zu deiner Information – ich habe einen Weg gefunden, nicht ständig daran zu denken, aber das funktioniert nicht wirklich, wenn du die ganze Zeit wieder mit dem Thema anfängst, Casey.« Ich stieß ihr grinsend den Ellbogen in die Seite. »Man könnte glatt das Gefühl bekommen, du fändest es besser, ich wäre am Boden zerstört.«
»Dann würde ich wenigstens wissen, dass du nicht wieder alles mit dir allein ausmachst.«
»Casey«, stöhnte ich.
»Das meine ich ganz ernst, B«, sagte sie. »Der Kerl hat dir das neunte Schuljahr zur Hölle gemacht. Du warst ein absolutes Wrack, nachdem er dir das angetan hatte, und ich weiß, wie schwer die Situation gerade ist, weil wir es vor Jess geheim halten müssen, aber du darfst trotzdem nicht alles in dich reinfressen. Ich will nicht, dass du das Ganze noch mal durchmachst.«
»Mir geht es gut, Casey«, versicherte ich ihr. »Ich habe wirklich etwas gefunden, das mir hilft, besser mit Stress klarzukommen.«
»Was?«
Oh. Verfluchter Mist.
»Was was ?«
Casey sah mich stirnrunzelnd an. » Ha-ha. Was dir hilft, besser mit Stress klarzukommen.«
»Ach … so dies und das.«
»Machst du Sport?«, fragte sie. »Das muss dir nicht peinlich sein. Meine Mutter geht aufs Laufband, wenn sie genervt ist. Sie meint, es
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