Von wegen Liebe (German Edition)
durchgeblättert hatte, ins Regal zurück. »Wie geht’s dir?« Ich sah sie nicht an, sondern tat so, als würde ich weiter die Titel auf den Buchrücken studieren.
Ich wollte sie nicht anschauen. Zum einen weil sie ihrem Bruder so ähnlich sah, den ich gerade vergeblich zu vergessen versuchte. Zum anderen weil ich ihr unmöglich in die Augen sehen konnte, wenn sie mich gleich in der Luft zerriss, und genau das würde sie tun, da war ich mir todsicher. Nicht dass ich ihr deshalb einen Vorwurf machen konnte.
Obwohl ich mir eigentlich nicht vorstellen konnte, wie die schüchterne kleine Amy jemanden in der Luft zerriss, aber trotzdem.
»Ich … ähm … muss dir etwas sagen«, stammelte sie, versuchte aber dennoch, entschlossen zu klingen.
Vielleicht gab Amy mir auch stellvertretend für alle Mädchen, mit denen Wesley etwas hatte, die Schuld an seinem »Lebenswandel« und an der Distanz, die zwischen ihr und ihrem Bruder herrschte.
Wenn das der Fall war, hätte ich ihn eigentlich gern verteidigt und ihr gesagt, dass ihre Großmutter ihn in einem falschen Licht darstellte. Dass er kein schlechter Kerl war – und definitiv kein schlechter Bruder. Aber ich wollte mich nicht einmischen. Es stand mir nicht zu, seine Familienangelegenheiten in Ordnung zu bringen. Er war noch nicht einmal mehr Teil meines Lebens.
»Okay, schieß los.«
Jetzt kommt es, dachte ich. Egal, was sie sagt, du fängst nicht an zu heulen.
»Ich … ich wollte …« Sie holte tief Luft. »Ich wollte mich bei dir bedanken.«
»Was?« Ich sah sie völlig perplex an. Ich musste mich verhört haben.
»Danke«, sagte sie. »Für Wesley. Er … er hat sich ziemlich verändert, und ich weiß, dass es etwas mit dir zu tun haben muss. Ich … das ist schön. Also danke.«
Bevor ich nach einer ausführlicheren Erklärung fragen konnte – bestehend aus langsam und vollständig gesprochenen Sätzen, damit ich folgen konnte –, drehte Amy sich um und hastete mit wippenden braunen Locken davon.
Ich blieb völlig verwirrt in der Bibliothek zurück.
Aber es kam noch schlimmer.
Als Wesley nach dem Mittagessen um die Ecke bog, während ich ein paar Bücher aus meinem Schließfach holte, war ich nicht wirklich überrascht. Wie schon gesagt, er war einfach überall. Vikki war bei ihm, hatte sich bei ihm untergehakt und schwang wie in einer Shampoowerbung ihre Haare hin und her. Sie lachte über irgendetwas, das er gerade gesagt hatte, aber ich hätte eine Menge Geld darauf gewettet, dass es nichts Witziges gewesen war, sondern sie ihm bloß schmeicheln wollte … als ob sein Ego es nötig gehabt hätte, noch größer zu werden.
»Komm doch mal kurz mit da rüber«, kicherte sie und zog ihn in eine Nische im Flur, keine zehn Meter von mir entfernt. »Ich will mit dir reden.«
Reden?, dachte ich. Ja klar.
Ich schwöre, dass ich nicht lauschen wollte. Mir anzuhören, wie sie miteinander flirteten, hätte mich nur fertiggemacht. Aber Vikkis quietschiges Organ trägt weit, und sie standen in meiner Nähe, und okay, ja, da war auch noch dieser winzige masochistische Teil in mir, der unwillkürlich die Ohren spitzte. Jedenfalls begann ich, die Bücher in meinem Schließfach zu sortieren, und versuchte, dabei so viel Lärm zu machen, dass es ihre Unterhaltung übertönte. Es gelang mir nicht ganz.
»Hast du schon irgendwelche Pläne für den Abschlussball?«, fragte Vikki.
»Nein«, sagte Wesley.
Ich raschelte laut mit irgendwelchen Unterlagen und hoffte, dass sie mich, wenn ich ihr Gespräch schon nicht ausblenden konnte, sehen und ihr Rumgemache woanders fortsetzen würden. Ich meine, sie hatten noch nicht angefangen, sich zu befummeln oder so, aber ich kannte die beiden gut genug, um mir sicher zu sein, dass es nicht mehr lange dauern konnte.
»Ich dachte«, fuhr Vikki fort, entweder weil sie mich nicht gehört hatte oder weil es ihr egal war, »dass wir vielleicht zusammen hingehen könnten.« Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass sie ihre langen lackierten Fingernägel über Wesleys Arm gleiten ließ. Vikki zog bei jedem Typen die gleiche Nummer ab. »Und dass wir danach vielleicht noch ein bisschen für uns sein könnten … zum Beispiel bei dir zu Hause?«
Ich hätte mich am liebsten übergeben. Stattdessen schnappte ich mir meine Bücher, knallte die Schließfachtür zu und machte mich bereit, zu meinem nächsten Kurs zu stürmen, bevor ich hören musste, wie Wesley Ja sagte. Sollen sie doch miteinander glücklich werden!, dachte ich
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