Von Zweibeinern und Vierbeinern
Könnte davon etwas in das Einstichloch gekommen sein?«
»Nein... das glaube ich nicht. So etwas habe ich noch nie gehört. Ich sehe sie mir morgen mal an.«
Es war eine meiner ersten Visiten am nächsten Morgen. Maxwell hatte nicht übertrieben. Die Kuh hatte eine deutlich erkennbare Schwellung am Hals, die nicht auf die Injektionsstelle beschränkt war. Sie verlief die ganze Halsvene entlang. Die Vene selbst fühlte sich fest wie ein Strang an, aber das Gewebe um sie herum war ödematös.
»Sie hat eine Venenentzündung«, sagte ich. »Die Vene muß irgendwie durch die Spritze infiziert worden sein.«
»Wie kann so etwas passieren?«
»Das verstehe ich auch nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, daß von der Lösung nichts danebengegangen ist, und meine Nadel war sauber.«
Der Bauer betrachtete den Hals der Kuh von nahem. »Sieht nicht wie ein Abszeß aus, nicht?«
»Nein«, antwortete ich, »es ist kein Abszeß.«
»Und was ist das für eine dicke, harte Beule hier zum Kiefer rauf?«
»Das ist ein Thrombus.«
»Ein was?«
»Ein Thrombus. Ein Blutklumpen in der Vene.« Es machte mir absolut keinen Spaß, ihm diese kleine pathologische Lektion zu erteilen. Immerhin war ich für die ganze Sache verantwortlich.
Robert Maxwell sah mich fragend an. »Ja, und was soll nun geschehen? Was wollen wir tun?«
»Gewöhnlich entwickelt sich innerhalb weniger Wochen eine parallele Blutzirkulation, das heißt, andere Venen übernehmen die Arbeit. In der Zwischenzeit werde ich sie mit einem Gemisch von Sulphonamidpulvern versorgen.«
»Gut. Es scheint ihr ja nicht schlecht zu gehen«, sagte der Bauer.
Das war ein Hoffnungsschimmer. Die Kuh hatte uns ganz zufrieden den Kopf zugewandt, während wir sprachen, und jetzt sah ich, wie sie sich Heu heranzog.
»Nein... nein... Sie sieht nicht so aus, als ob sie litte. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis sie wieder in Ordnung ist.«
Er kraulte den Schwanzansatz der Kuh. »Soll ich sie vielleicht in heißem Wasser baden?«
Ich schüttelte entsetzt den Kopf. »Bitte, berühren Sie die Stelle nicht. Es kann gefährlich werden, wenn das Gerinnsel sich auflöst oder zerbröckelt.«
Ich ließ ihm das Pulver da und fuhr davon, aber ich hatte das unangenehme Gefühl, das mich immer beschleicht, wenn ich weiß, daß ich irgend etwas verpatzt habe. Fluchend hielt ich das Steuerrad umklammert. Was hatte ich falsch gemacht? Die sterilisierten Einwegnadeln und Spritzen, die heute selbstverständlich sind, waren uns damals noch unbekannt, aber Siegfried und ich kochten unsere Spritzen immer gut aus und lagerten sie sorgfältig in mit Spiritus gefüllten Behältern. Mehr konnten wir kaum tun. Hatte das Fliegenmittel der Kuh geschadet? Ich konnte es nicht glauben.
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß die Kuh nicht krank aussah. Aber die unangenehme Tatsache blieb bestehen: Dieses Tier war ein einfacher Fall von Fußfäule gewesen, bis Doktor James Herriot, Tierarzt, Hand an sie legte – und jetzt hatte die arme Kuh eine Venenentzündung.
Helen stellte am nächsten Morgen gerade mein Frühstück vor mich hin, als das Telefon klingelte. Es war Robert Maxwell.
»Die Kuh ist tot«, sagte er.
Ich starrte mehrere Sekunden lang auf die Wand vor mir, ehe ich sprechen konnte. »Tot...?«
»Ja, ich fand sie heute morgen im Stall. Sieht aus, als ob sie einfach umgefallen ist.«
»Mr. Maxwell... ich... tja... ich...« Ich mußte mich mehrere Male räuspern. »Es tut mir schrecklich leid. Das habe ich wirklich nicht erwartet.«
»Was kann passiert sein?« Die Stimme des Bauern klang seltsam sachlich.
»Es gibt nur eine Erklärung«, sagte ich. »Eine Embolie.«
»Was ist das?«
»Dazu kommt es, wenn von einem Blutgerinnsel ein Stückchen abreißt und in den Blutkreislauf gerät. Falls es das Herz erreicht, bedeutet das den Tod.«
»Ich verstehe. Das war es dann wohl.«
Ich schluckte. »Lassen Sie mich Ihnen noch einmal sagen, Mr. Maxwell, wie leid es mir tut.«
»Ist gut...« Es folgte eine Pause. Dann: »Solche Dinge passieren in der Landwirtschaft nun mal. Ich wollte es Sie nur wissen lassen. Guten Morgen.«
Mir war hundeelend zumute, als ich den Hörer auflegte. Beklommen setzte ich mich an den Frühstückstisch und starrte auf meinen Teller.
»Willst du nichts essen, Jim«, fragte Helen.
Ich sah traurig auf die schöne Scheibe Schinken.
»Entschuldige, Helen, ich weiß, es ist nicht richtig, aber ich kann nichts essen.«
»Komm, Lieber.« Helen lächelte und schob den
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