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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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sie Pyelonephritis. Vielleicht ist auch die Blase mitbetroffen.«
    Robert Maxwell sah mich an. »Ist das etwas Ernstes?«
    Ich hätte ihm, gerade ihm, liebend gern eine beruhigende Antwort gegeben, aber es bestand kein Zweifel, daß dies ein in höchstem Maße fataler Befund war.
    »Ich fürchte, ja«, erwiderte ich. »Es ist sehr ernst.«
    »Ich hatte es im Gefühl, daß es etwas Schlimmes ist. Können Sie etwas für die Kuh tun?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich möchte es gern mit einer Mischung aus Sulphonamiden versuchen.«
    »Es ist wirklich das beste, was wir haben«, sagte ich eifrig. »Kühe in diesem Zustand waren bisher hoffnungslose Fälle, aber seit es die neuen Medikamente gibt, haben wir wenigstens eine Chance.«
    Er sah mich mit einem langen, ruhigen Blick an. »Gut. Dann wollen wir am besten gleich anfangen.«
    »Ich behalte sie im Auge«, sagte ich, als ich ihm das Pulver gab.
    Und ich behielt sie im Auge. Ich war jeden Tag bei den Maxwells im Stall – ich wollte um jeden Preis, daß diese Kuh am Leben blieb. Aber nach vier Tagen war noch immer keine Besserung zu sehen, im Gegenteil, die Kuh verfiel zusehends.
    Ich war tief deprimiert, als ich neben dem Bauern stand und die hervorstehenden Rippen und Beckenknochen betrachtete. Sie war noch dünner geworden, und sie hatte immer noch Blut im Urin.
    Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, daß der einen Tragödie eine zweite folgen sollte. Gleichzeitig wuchs in mir die Gewißheit, daß der Tod unumgänglich war.
    »Die Sulphonamide halten sie am Leben«, sagte ich. »Aber wir brauchen etwas Stärkeres.«
    »Gibt es etwas Stärkeres?«
    »Ja, Penicillin.«
    Penicillin. Die neue Wunderdroge, das erste Antibiotikum. Aber damals stand das Penicillin der Tiermedizin noch nicht als Lösung zur Injektion zur Verfügung. Wir hatten nur kleine Röhrchen, die 300 mg, in einer öligen Basis gelöst, für die Behandlung von Milchdrüsenentzündung enthielten. Die Tülle des Röhrchens wurde in den Milchkanal eingeführt, dann wurde der Inhalt in den Euter gedrückt. Es war eine gewaltige Verbesserung gegenüber allen vorherigen Behandlungsmethoden von Milchdrüsenentzündung. Aber ich hatte bisher noch nie ein Antibiotikum bei einem Tier subkutan injiziert.
    Ich bin gewöhnlich nicht sonderlich erfinderisch, aber plötzlich hatte ich eine Idee. Ich ging hinaus zum Wagen, griff nach einer Schachtel mit zwölf Mastitis-Röhrchen und probierte aus, ob die Tülle in die untere Öffnung einer normalen Nadel für subkutane Injektionen paßte. Sie paßte genau.
    Ich bin kein naturwissenschaftlicher Theoretiker, deshalb wußte ich auch nicht genau, ob es richtig war, was ich jetzt tat. Jedenfalls stieß ich der Kuh die Nadel in den Rumpf und drückte Röhrchen für Röhrchen in den Muskel hinein, bis die Schachtel leer war. Würde das Penicillin absorbiert werden? Ich wußte es nicht. Aber es war mir schon ein Trost, zu wissen, daß es wenigstens im Körper war. Das bedeutete einen Funken Hoffnung.
    Ich wiederholte die Prozedur drei Tage hintereinander, und am dritten Tag wußte ich, daß ich etwas Gutes getan hatte.
    »Schauen Sie mal«, sagte ich zu Robert Maxwell. »Der Rücken ist nicht mehr ganz so gekrümmt. Sie scheint sich etwas entspannt zu haben.«
    Der Bauer nickte. »Sie haben recht. Sie hält sich nicht mehr so verkrampft.«
    Der Anblick der Kuh, wie sie friedlich dort stand und um sich blickte und sich hin und wieder einen Mundvoll Heu aus dem Reck heranzog, war wie ein Trompetenstoß für mich. Der Schmerz in den Nieren hatte offenkundig nachgelassen, und der Bauer hatte auch gesagt, daß der Urin nicht mehr ganz so dunkel war wie bisher.
    Ich hätte verrückt werden können vor Freude. Siegesgewiß pumpte ich auch an den folgenden Tagen meine kleinen Röhrchen in die Kuh hinein. Ich wußte die richtige Dosis für Rinder nicht – niemand wußte dergleichen zu jener Zeit –, deshalb gab ich ihr auf gut Glück soviel, wie ich für richtig hielt, und tatsächlich schritt die Besserung stetig voran.
    Es kam der glückliche Tag, an dem ich ganz sicher war, daß die Schlacht gewonnen war. Während ich die Kuh untersuchte, spreizte sie plötzlich die Beine und ein Strahl kristallklaren Urins spritzte auf den Boden. Ich trat zurück und betrachtete meine Patientin, als sähe ich sie zum erstenmal. Der Rumpf war nun wieder mit Fleisch gepolstert, und das Fell der Kuh hatte seinen gesunden Glanz. Genauso schnell wie sie verfallen war, hatte sie ihr normales gesundes

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