Von Zweibeinern und Vierbeinern
Teller näher zu mir. »Ich weiß ja, daß du deine Arbeit nicht leicht nimmst, aber ich wußte nicht, daß du dir den Appetit davon verderben läßt.«
Ich zog unglücklich die Schultern hoch. »Diesmal ist es etwas anderes. Ich glaube, ich habe eine Kuh getötet.«
Natürlich wußte ich es nicht mit Sicherheit – und ich werde es nie wissen –, aber es saß mir lange in den Knochen. Ich hielt viel von dem Ausspruch Napoleons: »Leg deine Sorgen ab, wenn du deine Kleider ablegst.« Und so hatte ich nie gewußt, was Schlaflosigkeit ist. Aber jetzt schreckten mich nächtelang geschwollene Halsvenen und wandernde Blutgerinnsel aus dem Schlaf hoch.
Ich wunderte mich über die Haltung des Bauern am Telefon. Die meisten Menschen wären bei einem Unglück wie diesem wütend geworden, und ich hätte es nur natürlich gefunden, wenn Robert Maxwell mich angeschrien hätte. Aber er war nicht einmal grob geworden und hatte gar nicht erst versucht, mir Vorwürfe zu machen.
Natürlich bestand immer noch die Möglichkeit, daß er mich verklagen wollte. Er war ein netter Mann, aber immerhin hatte er einen beträchtlichen finanziellen Verlust erlitten, und es bedurfte keines juristischen Genies, um vor Gericht den Nachweis zu erbringen, daß ich ein Scharlatan war.
Aber der Brief des Rechtsanwalts kam nicht. Tatsächlich hörte ich einen Monat lang nicht ein einziges Wort von Robert Maxwell, und da ich sonst ein regelmäßiger Besucher auf seinem Hof gewesen war, kam ich zu dem Schluß, daß er den Tierarzt gewechselt hatte. Ich hatte also einen guten Klienten verloren, und auch das war kein angenehmer Gedanke.
Eines Nachmittags klingelte das Telefon. Robert Maxwell war am Apparat. Er sprach, wie immer, mit ruhiger Stimme. »Ich möchte, daß Sie kommen und sich eine meiner Kühe ansehen, Mr. Herriot. Da ist irgendwas nicht in Ordnung mit ihr.«
Eine warme Woge der Erleichterung durchströmte mich. Keine Anspielung auf den Tod der Kuh. Nur ein Hilferuf, als ob nie etwas passiert wäre. Sehr großmütig, dachte ich, und hoffte nur, daß ich es irgendwann wiedergutmachen könnte.
Was ich mir wünschte, war ein Fall, den ich schnell und möglichst auf spektakuläre Weise heilen konnte.
Robert Maxwell begrüßte mich mit seiner gewohnten Ruhe und Höflichkeit.
»Der Regen heute nacht kam im rechten Augenblick, Herr Doktor. Das Gras war schon fast am Verdursten.« Er sprach, als ob er sich an meinen letzten unglücklichen Auftritt auf seinem Hof nicht mehr erinnerte.
Die Kuh war eine große Friesin, und als ich sie sah, schwanden meine Hoffnungen auf einen schnellen Triumph dahin. Sie stand mit krummem Rücken völlig abgemagert da und starrte die Wand vor sich an. Und wenn es etwas gibt, was ich hasse, dann ist es der Anblick einer die Wand anstarrenden Kuh. Auch als wir näher kamen, zeigte sie keinerlei Interesse. Ich stellte eine Schnelldiagnose: eine traumatische Retikulitis. Die Kuh hatte einen Draht geschluckt. Ich würde sie operieren müssen – ein Gedanke, der mir nach meiner letzten Erfahrung in diesem Stall gar nicht gefiel.
Als ich sie jedoch untersuchte, stellte ich fest, daß alles nicht recht zusammenpaßte. Der Magen arbeitete gut, er brodelte und blubberte unter meinem Stethoskop, und als ich ihn drückte und abtastete, war er weich, und die Kuh gab keinen Ton von sich – sie warf nur einen ängstlichen Blick in meine Richtung, bevor sie wieder die Wand anstarrte.
»Sie ist ein bißchen dünn«, sagte ich.
»Ja, das ist sie.« Robert Maxwell vergrub seine Hände in den Taschen und musterte die Kuh trübsinnig. »Und ich weiß nicht, warum. Sie hat immer das beste Futter gekriegt, aber in den letzten Tagen hat sie ganz plötzlich ihre gute Kondition verloren.«
Puls, Atmung und Temperatur waren normal.
»Zuerst dachte ich, sie hätte Koliken«, fuhr der Bauer fort. »Sie versuchte dauernd, sich in den Bauch zu treten.«
»Sich in den Bauch zu treten?« Irgend etwas in meinem Hinterkopf regte sich.
Ja, das war oft ein Symptom für Nephritis. (Nierenentzündung).
Und als wollte sie meine Überlegung bestätigen, hob die Kuh den Schwanz und sandte einen Strahl blutigen Urins in die Rinne hinter sich. Ich sah mir die Pfütze an. Es war Eiter im Blut. Ich wußte jetzt zwar, was ihr fehlte, aber das machte mich nicht gerade glücklich.
Ich drehte mich zu dem Bauern um. »Es sind die Nieren, Mr. Maxwell.«
»Die Nieren? Was ist los mit ihnen?«
»Sie sind entzündet. Es ist eine Infektion. Man nennt
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