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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Tür hinausging, fragte ich mich, ob das neue Wundermittel wirklich das Ende einer unserer unangenehmsten Aufgaben bedeutet. Ich war gelegentlich schon sehr dankbar gewesen für die wohltuende Wirkung von M & B-Tabletten. Sie hatten einige kleine Wunder in unserer Praxis vollbracht. Aber ich konnte mir nicht recht vorstellen, daß eine intravenöse Injektion eine nekrotische Erkrankung des Fußes heilen sollte.
    Als das Medikament eintraf, hatte ich die gleichen Schwierigkeiten wie der Vertreter bei mir, die Bauern zu überzeugen. »Was machen Sie denn da? Eine Spritze in den Hals? Die sollten Sie ihr doch lieber in den Fuß geben.« Oder: »Ist das wirklich alles, was Sie tun wollen? Geben Sie mir lieber etwas, was ich ihr auf den Fuß tun kann.«
    So oder ähnlich lauteten die Bemerkungen, und meine Antwort war stets zurückhaltend, weil ich die gleichen Vorbehalte hatte wie die Bauern.
    Aber wie schnell änderten sie alle ihre Meinung. Es war genauso, wie der junge Mann gesagt hatte. Sehr oft sprang das Tier binnen eines Tages wieder auf der Weide herum, die Schwellungen waren zurückgegangen, die Schmerzen verschwunden. Es war die reinste Hexerei.
    Das bedeutete einen gewaltigen Fortschritt, und ich befand mich auf dem Höhepunkt meiner Begeisterung, als ich Robert Maxwells Kuh erblickte. Der rote, geschwollene Fuß, das gequälte Humpeln, die stinkende Absonderung – alles paßte zusammen.
    Tatsächlich war es ein ziemlich schlimmer Fall, und ich freute mich in gewisser Weise, da ich festgestellt hatte, daß die schlimmsten Fälle, die bereits stark lahmten und bei denen das Zwischenzehengewebe über die Hufzehen oder die Ferse vorstand, sich am schnellsten besserten.
    »Damit werden wir ein ganz schönes Stück Arbeit haben«, sagte der Bauer. Er war Ende vierzig, ein energischer kleiner Mann und einer der hellsten Köpfe in der Gegend. Er kam immer zu den Gesprächsabenden der Bauern, immer eifrig bemüht, zu lernen und Rat zu geben.
    »Überhaupt nicht, Mr. Maxwell«, sagte ich leichthin. »Dafür gibt es jetzt eine neue Arznei – eine Spritze. Keine Behandlung des Fußes mehr – das ist endgültig vorbei.«
    »So? Das wäre ja eine wahre Gnade. Es ist kein Vergnügen, hinter einer Kuh zu knien und ihr den Fuß zu bepinseln.«
    Er beugte sich zu dem Fuß der erkrankten Kuh hinunter und sah ihn an. »Und wo wollen Sie das neue Zeug spritzen?«
    »In den Hals.«
    »In den Hals?«
    Ich grinste. Die Reaktion der Bauern machte mir immer wieder Spaß. »Ja, genau. In die Halsvene.«
    »Na, heutzutage gibt’s jeden Tag was Neues.« Robert Maxwell zuckte mit den Schultern und lächelte, aber er akzeptierte es. Intelligente Bauern wie er widersetzen sich nicht. Es waren immer nur die Dickköpfe, die alles besser wußten.
    »Sie brauchen ihr nur den Kopf zu halten«, sagte ich. »So ist es gut, ziehen Sie den Kopf noch ein bißchen mehr zu sich heran. Fein.« Ich staute die Halsvene mit den Fingern, bis sie vorstand wie ein Schlauch, und schob dann die Nadel hinein. Die M & B-Lösung strömte in die Blutbahn. Nach etwa zwei Minuten zog ich die Nadel heraus.
    »So, das war’s«, sagte ich, nicht ohne ein Spur Selbstgefälligkeit.
    »Das war alles?«
    »Das war alles. Keine Sorge. Die Kuh ist in ein paar Tagen wieder gesund.«
    »Na, ich weiß ja nicht...« Robert Maxwell sah mich mit einem skeptischen Lächeln an. »Ihr jungen Leute überrascht mich. Ich habe mein ganzes Leben auf dem Bauernhof verbracht, und ihr tut Dinge, die ich mir nicht einmal im Traum ausgedacht hätte.«
    Ich sah ihn bei einem Bauerntreffen ungefähr eine Woche später wieder.
    »Wie geht’s der Kuh?« fragte ich.
    »Wie Sie gesagt haben. Munter wie ein Fisch im Wasser. Dieses Teufelszeug bringt tatsächlich die Fäule zum Verschwinden, das reinste Zaubermittel.«
    Ich strahlte förmlich, als sein Gesichtsausdruck sich plötzlich änderte. »Aber jetzt hat sie eine Geschwulst am Hals.«
    »Sie meinen da, wo ich ihr die Spritze gegeben habe?«
    »Ja.«
    Mein Glücksgefühl war dahin. Eine Geschwulst? Das gefiel mir nicht. Mein erster Gedanke war, daß etwas von der Lösung unter die Haut geraten sein mußte, aber ich meinte mich zu erinnern, daß noch ein Tropfen Blut an der Nadel gehangen hatte, als ich sie herauszog.
    »Seltsam«, sagte ich. »Ich verstehe nicht, wie es dazu kommen kann.«
    Robert Maxwell schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht. Ich habe die Kuh, gleich nachdem Sie weg waren, mit einem Fliegenschutzmittel eingesprüht.

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