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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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sie mich sah, und ihr Schwanz peitschte hin und her.
    »Hätten Sie sie nicht in einer stabileren Box unterbringen können, Mr. Binns?« fragte ich.
    Der Bauer schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe wenig Platz, und diese Kuh hier ist die meiste Zeit im Hochmoor.«
    Das sah man ihr an. Sie hatte nichts von einem Haustier an sich. Ich warf Rosie einen Blick zu. Gewöhnlich setzte ich sie oben in die Heuraufe oder auf die Zwischenwände der Boxen, während ich arbeitete, aber bei dieser Kuh wollte ich sie nicht gern in der Nähe haben.
    »Hier ist kein Platz für dich, Rosie«, sagte ich. »Geh und stell dich hinten in den Gang, dann bist du aus dem Weg.«
    Die Kuh tanzte in der Box herum und ging fast die Wand hoch. Mit Bewunderung sah ich, daß es dem Bauern trotzdem gelang, ihr eine Seilschlinge über den Kopf zu werfen. Er stand mit dem Rücken in der Ecke und stemmte sich mit den Beinen gegen den Boden.
    Ich sah ihn fragend an. »Können Sie sie halten?«
    »Ich denke, ja«, antwortete Mr. Binns mit gepreßter Stimme. »Die Stelle ist da hinten an ihrem Hintern.«
    Es war eine ungewöhnliche Sache: ein großer, eiternder Abszeß nahe an der Schwanzwurzel. Und dieser Schwanz schwang ständig hin und her – ein sicheres Zeichen für die Bösartigkeit eines Rindes.
    Sacht fuhr ich mit den Fingern über die Schwellung, und prompt schlug sie mit dem Hinterfuß aus und traf mich am Schenkel. Das kam nicht unerwartet. Ruhig fuhr ich mit der Untersuchung fort.
    »Wie lange hat sie das schon?« fragte ich.
    »Oh, etwa zwei Monate«, sagte der Bauer, der sich mit aller Kraft gegen das Seil stemmte. »Es ist mal aufgegangen und hat geeitert, aber dann hat es sich wieder gefüllt, und ich dachte jedesmal, jetzt ist es vorüber. Jetzt sieht es so aus, als ob es nie in Ordnung käme. Woran liegt das?«
    »Ich weiß nicht, Mr. Binns. Sie muß sich verletzt haben, und die Wunde ist vermutlich infiziert worden. Hinten am Rücken kann der Eiter nicht richtig abfließen. Da ist eine Menge totes Gewebe, das ich wegnehmen muß, wenn es heilen soll.«
    Ich lehnte mich über die Holzwand und rief: »Rosie, bringst du mir bitte meine Schere, die Baumwollwatte und die Flasche mit Wasserstoffsuperoxyd?«
    Staunend beobachtete der Bauer, wie die kleine Gestalt zum Wagen trottete und mit den drei Dingen zurückkam. »Bei Gott, die Kleine kennt sich aber aus!«
    Ich lächelte stolz. »Ja«, sagte ich, »sie kennt zwar nicht alles, was im Wagen liegt, aber die Dinge, die ich regelmäßig brauche, kennt sie genau.«
    Rosie händigte mir die Sachen aus und ging wieder auf ihren Platz am Ende des Ganges.
    Ich schnitt den Abszeß auf. Da das Gewebe abgestorben war, konnte die Kuh nichts fühlen, aber das hielt sie nicht davon ab, alle paar Sekunden mit dem Hinterbein auszuschlagen. Manche Tiere hassen es, gestört zu werden...
    Endlich hatte ich einen ziemlich großen sauberen Bereich freigelegt, auf den ich das Wasserstoffsuperoxyd träufelte. Ich hatte großes Vertrauen zu dem alten Mittel, besonders bei stark eiternden Wunden. Es drang tief ins Gewebe ein und wirkte antiseptisch. Zufrieden beobachtete ich, wie es auf die Hautoberfläche sprudelte. Doch der Kuh schien es weniger zu gefallen, denn sie machte plötzlich einen Luftsprung, riß dem Bauern das Seil aus den Händen und stieß mich zur Seite.
    Die Tür der Stallbox war geschlossen, aber man hörte nur einen splitternden Krach, und die Kuh war draußen im Gang.
    Ich wünschte verzweifelt, das zottelige Monstrum möge sich nach links wenden ins Freie, aber zu meinem Schrecken scharrte sie einen Augenblick unschlüssig mit den Hufen und lief dann donnernd nach rechts, in die Sackgasse hinein, wo meine kleine Tochter stand.
    Mir blieb das Herz stehen. Ich stürzte durch die zersplitterte Holztür und sah Rosie mit dem Rücken zur Wand am Ende des Ganges stehen – die Kuh stand einen halben Meter vor ihr und sah sie an. Rosie schrie nicht, sie sagte nur mit leiser Stimme: »Mama!«
    Als das Tier meine Schritte hörte, drehte es sich um und galoppierte an mir vorüber in den Hof hinaus.
    Zitternd nahm ich Rosie in die Arme. In meinem Kopf drehte sich alles. Sie hätte leicht tot sein können. Was hatte sie gesagt? Mama? Das hatte ich sie vorher nie sagen hören. Sie nannte Helen immer Mammy oder Mam. Warum hatte sie überhaupt keine Angst gehabt? Unbegreiflich! Ich war voller Dankbarkeit. Und das bin ich heute noch, wenn immer ich daran denke.
    Als wir nach Hause fuhren, fiel mir ein, daß

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