Von Zweibeinern und Vierbeinern
Stereo und Quadrophonie schon gar nicht. All das, was die Welt des Hörens seither revolutioniert hat, war noch unbekannt. Das Beste, was ein Musikliebhaber sich anschaffen konnte, war eine Musiktruhe.
Nachdem ich ausgiebig über Prospekten gebrütet und von vielen Seiten gute Ratschläge erhalten hatte, ließ ich mir drei Modelle nach Skeldale House kommen und hörte mir auf jedem den Anfang des Beethovenschen Violinkonzertes an. Immer wieder. Ich muß die beiden Männer aus dem Rundfunkgeschäft damit fast zum Wahnsinn getrieben haben – aber schließlich gab es für mich keinen Zweifel mehr.
Es kam nur ein Murphy in Frage, ein hübscher Apparat mit verdeckten Schallfenstern und zierlichen Beinen, der das volle Volumen wiedergab. Welch herrlicher Klang! Die Sache hatte nur einen Haken: Das Gerät kostete über neunzig Pfund, und das war im Jahre 1950 eine unheimliche Menge Geld.
Als ich die Truhe im Wohnzimmer aufstellte, sagte ich zu Helen: »Bitte, paß auf, daß die Kinder ihre Platten auf meinem alten Plattenspieler spielen. An den Murphy dürfen sie nicht heran.«
Was für törichte Worte! Als ich am nächsten Tag ins Haus kam, hallte der ganze Flur wider von Yippee ay ooooh, Yippee ay aaaay, Ghost riders in the skyyy – abwechselnd von Bing Crosby und einem Chor gesungen –, und der Murphy brachte die Melodie zu voller Geltung.
Ich spähte durch einen Spalt der Wohnzimmertür. Ghost Riders war zu Ende. Rosie nahm mit ihren patschigen kleinen Händen die Platte vom Teller, steckte sie in die Hülle und marschierte mit wippendem Pferdeschwanz zum Plattenschrank. Sie zog eine andere Platte heraus und war schon wieder auf halbem Wege zum Murphy, als ich sie abfing.
»Welche Platte ist das?«
»The Little Gingerbread Man«, antwortete sie.
Ich sah auf das Etikett. Es stimmte. Woher wußte sie das? Ich hatte eine Menge Kinderplatten, und viele Hüllen sahen gleich aus, hatten die gleiche Farbe und die gleichen Wortgruppierungen. Und Rosie war erst drei und konnte noch nicht lesen.
Fachmännisch legte sie die Platte auf den Teller und setzte das Gerät in Gang. Ich hörte The Little Gingerbread Man bis zu Ende und beobachtete, wie sie eine neue Platte herausnahm.
»Was ist es diesmal?« Ich sah ihr über die Schulter.
»Tubby the Tuba.«
Es stimmte wieder. Da ich gerade eine Stunde Zeit hatte, setzte ich mich und hörte mir Rosies Konzert an. Wir hörten Uncle Mac’s Nursery Rhymes und The Happy Prince und Peter und der Wolf und viele Platten von Bing Crosby, den ich so liebte und immer noch liebe. Ich wunderte mich, daß ihre Lieblingsplatte von Crosby nicht Please oder How deep is the Ocean oder einer seiner Klassiker war, sondern Careless Hands. Diese Platte war eine besondere Kostbarkeit für sie.
Am Ende des Konzerts wußte ich, daß es zwecklos war, Rosie und den Murphy voneinander fernzuhalten. Der Murphy war ihr Spielzeug, und wenn sie nicht mit mir unterwegs war, spielte sie sich zu Hause Platten vor.
Es ging alles gut, und sie tat meiner kostbaren Erwerbung nie etwas zuleide. Wenn sie mit mir Visiten fuhr, sang sie mir die Lieder vor, die sie so oft gespielt und deren Text sie wortgetreu im Kopf behalten hatte. Ich liebte es, wenn sie sang, und Careless Hands wurde bald auch mein Lieblingslied.
Wir bogen auf den Weg zum Bauernhof ein und fuhren holpernd auf das erste der drei Tore zu. Das Singen hörte plötzlich auf, denn jetzt kam ein großer Moment für meine Tochter. Ich hielt an, Rosie sprang aus dem Wagen, stolzierte auf das Tor zu und öffnete es. Sie nahm diese Pflicht sehr genau und beobachtete mit ernstem Gesicht, wie ich durch das offene Tor fuhr. Als sie zum Wagen zurückkehrte und auf dem Beifahrersitz neben dem Hund Platz nahm, tätschelte ich ihr Knie.
»Danke, Liebling. Du bist eine große Hilfe für mich.«
Sie sagte nichts, aber sie errötete etwas und fühlte sich sehr wichtig. Sie wußte, daß ich es ernst meinte, denn das Öffnen der Tore war mir eine unangenehme und lästige Pflicht.
Nachdem Rosie mir auch die beiden anderen Tore geöffnet hatte, fuhren wir auf den Hof. Mr. Binns hatte die Kuh, die ich untersuchen sollte, in einem wackligen Schuppen untergebracht. Vor der Box war ein Gang, der an der einen Seite eine Sackgasse war und an der anderen ins Freie führte.
Ich sah mit gemischten Gefühlen, daß die Kuh ein Gallowayrind war. Sie hatte schwarzes und struppiges Haar, das ihr in Büscheln über die böse blickenden Augen hing. Sie senkte den Kopf, als
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