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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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tun, weil der Patient nicht still hält. Aber die drei Paar gewaltiger Hände hatten das magere Geschöpfchen mit festem Zugriff gepackt. Unsere Köpfe waren dicht beieinander, als ich meine nassen Gipsbinden um die Bruchstelle wickelte, aber keiner sagte ein Wort.
    Die Arbeit geht mir immer viel besser von der Hand, wenn ich mich dabei unterhalten kann, und wenn ich das Glück habe, einen Gesprächspartner mit dem trockenen Humor der Leute aus Yorkshire zu haben, ist sie geradezu eine Freude. Ich hatte schon manchmal mein Skalpell aus der Hand legen müssen, weil ich vor Lachen nicht weiterarbeiten konnte. Doch hier herrschte Schweigen.
    Ich fing an, mich unbehaglich zu fühlen. Es war keine schwierige Arbeit, ich brauchte mich nicht hundertprozentig zu konzentrieren. Ich wünschte mir aus ganzem Herzen, daß jemand etwas sagte.
    Plötzlich fielen mir die letzten Zeitungsmeldungen ein. Nun hatte ich wenigstens ein Thema.
    »Genau wie Bernard Shaw, nicht wahr?« sagte ich lachend.
    Schweigen. Eine halbe Minute lang dachte ich, ich bekäme keine Antwort. Dann räusperte sich Mr. Casling.
    »Wie?« fragte er.
    »Bernard Shaw, George Bernard Shaw. Er hat sich auch das Bein gebrochen.« Ich versuchte, deutlich und langsam zu sprechen.
    Wieder Schweigen. Ich hatte das Gefühl, ich sollte es besser dabei belassen. Ich arbeitete weiter, tauchte die weißen Binden ins Wasser und wickelte sie um das Bein. Der Gips unter meinen Fingernägeln begann zu trocknen.
    Als nächster meldete sich Harold. »Lebt er hier in der Gegend?«
    »Nein... nein... eigentlich nicht.« Ich wünschte, ich hätte nicht davon angefangen.
    Als ich das nächste Stück Binde über dem Eimer abtropfen ließ, mischte sich Alan ins Gespräch.
    »Ein Bursche aus Darrowby, nicht?«
    Die Sache wurde immer schwieriger. »Nein«, sagte ich leichthin, »ich glaube, er lebt meistens in London.«
    »London!« Bisher war die Unterhaltung mit unbewegt gesenkten Köpfen vor sich gegangen. Jetzt fuhren die drei Gesichter mit blankem Erstaunen hoch, und alle drei hatten auf einmal gesprochen.
    Als sich der erste Schock gelegt hatte, sahen die Männer wieder auf das Kalb, und ich hoffte schon, das Thema sei damit beendet, als Mr. Casling murmelte: »Dann hat er wohl nichts mit Landwirtschaft zu tun?«
    »Nun... nein. Er schreibt Stücke.«
    »Jetzt muß der Gips nur noch ein bißchen trocknen«, sagte ich und setzte mich ins Gras zurück. Wieder senkte sich das Schweigen über uns.
    Nach ein paar Minuten beklopfte ich den Gipsverband mit dem Finger. Er war hart wie Stein. Ich stand auf. »Gut. Sie können jetzt loslassen.«
    Das Kalb sprang hoch und lief mit seinem Gipsbein mühelos auf seine Mutter zu, als ob nichts geschehen wäre. Ich lächelte. Das war immer ein schöner Anblick.
    »In einem Monat nehme ich den Gips ab«, sagte ich. Mehr wurde nicht gesprochen. Schweigend gingen wir über die Weide zum Tor.
    Doch ich wußte sehr wohl, was sie mittags beim Essen drüben im Haus sagen würden: »Komischer Kauz, dieser Tierdoktor. Redet dauernd von einem Burschen in London, der Stücke schreibt.«
    Und als ich nach Hause fuhr, sagte ich mir, daß Ruhm eben doch eine recht zweifelhafte Sache ist.

Kapitel 17
     
    Die Worte von Mr. Garrett, daß Eltern Nerven haben müssen wie Stahl, sind mir im Laufe der Jahre immer einmal wieder durch den Kopf gegangen, vor allem bei einem der jedes Jahr stattfindenden Konzertabende von Miss Livingstones Klavierschülern.
    Miss Livingstone war eine charmante Dame in den Fünfzigern, die vielen Kindern in Darrowby und Umgebung Klavierstunden gab. Einmal im Jahr veranstaltete sie ein Konzert, in dem ihre Schüler vorführen konnten, welche Fortschritte sie gemacht hatten, die Sechsjährigen ebenso wie die Teenager. Im Saal saßen die stolzen Eltern. Jimmy war damals neun, er hatte fleißig, aber ohne Begeisterung für den großen Tag geübt.
    In einer kleinen Stadt wie Darrowby kannte jeder jeden, und als der Saal sich füllte, nickten und lächelten die Besucher einander ständig zu. Ich saß im Mittelblock, an der Außenseite, Helen zu meiner Rechten, und nur ein, zwei Schritte entfernt, auf der anderen Seite des Ganges, sah ich Jeff Ward sitzen, den Schweizer von Willie Richardson.
    Er trug seinen besten Anzug, aus dunklem Stoff, den seine muskulöse Gestalt fast sprengte. Sein rotes, knochiges Gesicht glänzte, und sein widerspenstiges strohiges Haar war mit Brilliantine eng an den Kopf gekleistert.
    »Hallo, Jeff«, sagte ich.

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