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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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ein unfaires Spiel, denn ich nahm sie so oft wie möglich mit, wenn ich gräßliche oder schmutzige Aufgaben zu erledigen hatte. Schließlich entschloß sie sich, Doktor der Humanmedizin zu werden.
    Wenn ich jetzt sehe, wie viele junge Frauen Tiermedizin studieren, und wenn ich an die ausgezeichnete Arbeit der beiden Assistentinnen in unserer Praxis denke, frage ich mich manchmal, ob ich damals richtig gehandelt habe.
    Aber Rosie ist eine zufriedene und erfolgreiche Ärztin geworden. Und im übrigen wissen Eltern nie, ob sie etwas richtig oder falsch gemacht haben. Sie können nur tun, was sie für richtig halten.

Kapitel 16
     
    1950 brach sich ein Mann, den ich wie einen Gott verehrte, das Bein, als er die Apfelbäume in seinem Garten beschnitt: George Bernard Shaw. Zufällig hatte ich gerade in dieser Woche in einem Buch von ihm gelesen und mich an dem einzigartigen Witz dieses Mannes ergötzt. Ich bewunderte Shaw, denn ich hatte das Gefühl, sein Geist reiche weit über die Horizonte anderer literarischer Gestalten unserer Tage und auch früherer Zeiten hinaus.
    Ich erschrak, als ich von seinem Unglück las, und zweifellos teilte die englische Presse meine Gefühle. Dicke Schlagzeilen verbannten ernste Staatsaffären von der ersten Seite, und wochenlang wurden Bulletins veröffentlicht, um die beunruhigten Leser zu informieren. Ich fand das durchaus richtig und stimmte allen Sätzen der Journalisten zu: »Ein literarisches Genie...«, »Ein inspirierter Musikkritiker, der furchtlos gegen die öffentliche Meinung ansegelt...«, »Der größte Dramatiker unserer Zeit...«
    Ungefähr um diese Zeit brach sich auch ein Kalb der Caslings ein Bein. Ich sollte es eingipsen. Der Hof der Caslings lag hoch oben im Moor. Diese entlegenen Höfe waren oft schwer zu erreichen, manche lagen jenseits von tiefen, nach Knoblauch riechenden Schluchten, die beschwerlich zu durchqueren waren, andere waren nur über tiefe Sandwege zu erreichen, die durch weite Flächen Heidekraut führten, und man war immer wieder erstaunt, wenn man am Ende des Pfades tatsächlich ein Hofgebäude vorfand.
    Der Hof der Caslings lag, allen Elementen trotzend, hoch oben im Moor, durch eine Gruppe robuster Bäume im Westen vor dem Wind geschützt, der, wie die Neigung der Bäume anzeigte, kaum je aufhörte zu wehen.
    Mr. Casling und seine zwei bärenstarken Söhne kamen auf mich zu, als ich aus dem Wagen stieg. Der Bauer war ein etwa sechzigjähriger Mann mit einem Gesicht, das vom Wetter gebräunt und gegerbt war, und breiten Schultern, die in der groben Jacke kaum Platz zu haben schienen. Seine Söhne, Alan und Harold, waren in den dreißigern und ähnelten ihrem Vater fast aufs Haar, sogar in der Art, wie sie gingen, die Hände tief in den Taschen vergraben, die Köpfe vorgeneigt, die schweren Stiefel über den Boden ziehend. Sie lächelten nie. Sie waren gute Kerle, alle, wirklich eine nette Familie, aber sie lächelten nie.
    »Tag, Mr. Herriot.« Mr. Caslings Augen blickten mich unter dem abgetragenen Schirm seiner Mütze an. Er kam sofort zur Sache. »Das Kalb ist auf dem Feld.«
    »Gut«, sagte ich. »Könnten Sie mir einen Eimer Wasser bringen, bitte. Lauwarm.«
    Auf ein Nicken seines Vaters ging Harold wortlos in die Küche und kam mit einem verbeulten Gefäß zurück.
    Ich prüfte das Wasser mit dem Finger. »Gerade richtig. Fein.«
    Wir gingen durch das Tor auf die Weide, die sehnigen beiden kleinen Schäferhunde folgten uns dicht auf den Fersen. Als die Herde uns kommen sah, nahmen die Tiere Reißaus. Es war erstaunlich zu sehen, wie schnell mein kleiner Patient mit seinem baumelnden Hinterbein mit ihnen lief.
    Mr. Casling bellte einen Befehl, und die Hunde schossen davon, mitten zwischen das Vieh, sie schnappten nach Beinen und nach drohend gesenkten Hörnern, bis sie eine Kuh mit ihrem Kalb abgesondert hatten. Sie blieben bei ihnen stehen, bis der junge Casling zu ihnen trat und das Kalb zu Boden warf.
    Ich betastete das verletzte Bein. Ich würde es sicher wieder hinkriegen, obwohl es mir lieber gewesen wäre, wenn das Kalb ein Vorderbein gebrochen hätte, denn Elle und Speiche heilen sehr viel besser. Der Bruch war mitten im Schienbein, was etwas schwieriger war. Immerhin war ich dankbar, daß es nicht der Oberschenkel war. Dann wäre es wirklich ein Problem gewesen.
    Mein Patient war vollkommen bewegungsunfähig: Harold preßte den Kopf auf den Boden, Alan das Hinterteil und der Vater den Rumpf. Oft hat ein Tierarzt Mühe, seine Arbeit zu

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