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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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auf die Tasten, und beim letzten Akkord hielt er dramatisch die eine Hand hoch über der Tastatur, ehe er sie zur Seite fallen ließ – ganz wie ein Konzertpianist.
    Ich glaube nicht, daß die Methodist Hall je größeren Jubel gehört hat als den, der nun folgte. Der Raum explodierte in einem Sturm von Klatschen und Rufen, und Jimmy war nicht der Mann, der eine solche Huldigung ignorierte.
    Alle anderen Kinder waren am Ende ihres Spiels bescheiden von der Bühne gegangen. Aber mein Sohn trat zu meinem Erstaunen an den Rand der Bühne, legte die eine Hand auf den Magen, die andere auf den Rücken, streckte einen Fuß vor und verbeugte sich mit der Grazie eines Höflings des 18. Jahrhunderts – erst nach der einen, dann nach der anderen Seite des Saales.
    Der Applaus verwandelte sich in herzliches Gelächter, das noch anhielt, als er bescheiden lächelnd die Stufen hinunterging. In der Tür stießen wir auf Miss Mullion, die Leiterin der kleinen Schule, die Jimmy besuchte. Sie wischte sich Lachtränen aus den Augen.
    »O nein«, sagte sie atemlos. »Ihr Jimmy ist immer gut für einen Spaß.«
    Ich fuhr sehr langsam nach Skeldale House zurück. Ich fand es gefährlich, schneller als fünfundzwanzig Meilen zu fahren. Die Farbe war in Helens Gesicht zurückgekehrt, aber um ihren Mund und die Augen sah man Linien der Erschöpfung.
    Jimmy lag der Länge nach hinten auf den Rücksitzen. Er streckte die Beine in die Luft und pfiff Teile der Melodien, die gerade gespielt worden waren.
    »Mam! Dad!« rief er plötzlich unbekümmert. »Ich mag Musik gern.«
    Ich konnte ihn im Rückspiegel sehen. »Schön, mein Junge, sehr schön. Das tun wir auch.«
    Plötzlich rollte er sich von den Rücksitzen herunter und steckte seinen Kopf zwischen uns. »Und wißt ihr auch, warum ich Musik so gern mag?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich hab’s gerade herausgefunden«, schrie er begeistert. »Weil Musik so was Beruhigendes ist.«

Kapitel 18
     
    Ich wunderte mich, als Walt Barnett mich zu seiner Katze rief. Seit Siegfried ihn vor langer Zeit tödlich beleidigt hatte, weil er ihm zehn Pfund für das Kastrieren eines Pferdes berechnete, konsultierte er andere Tierärzte. Und ich war auch überrascht, daß ein Mann wie er sich um eine kranke Katze kümmerte.
    Eine Menge Leute sagten, Walt Barnett sei der reichste Mann in Darrowby – er schwimme geradezu in dem Geld, das ihm seine vielen Unternehmungen einbrächten. Hauptsächlich war er Schrotthändler, aber er hatte auch ein Transportunternehmen und war Gebrauchtwagenhändler und handelte mit allem Trödel, den er fand. Ich wußte, daß er ein bißchen Vieh und ein paar Pferde in seinem großen Haus vor der Stadt hielt, aber all das brachte Geld, und Geld war nun einmal seine Leidenschaft. Aber mit Katzen war kein Profit zu machen...
    Ich fuhr zu seinem Büro und ging über den Schrottplatz auf die Holzbaracke zu, von der aus er das Unternehmen leitete. Walt Barnett saß hinter einem billigen Schreibtisch. Er sah noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Der massige Körper platzte fast aus den Nähten des fadenscheinigen marineblauen Anzugs, eine Zigarette hing ihm von den Lippen, und er trug auch noch den gewohnten braunen Schlapphut, den er sich in den Nacken geschoben hatte. Er war unverändert: das fleischige rote Gesicht, der arrogante Ausdruck, die kalt blickenden Augen.
    »Hier«, sagte er, blickte mich grollend an und deutete mit dem Finger auf eine schwarz-weiße Katze, die zwischen den Papieren auf dem Schreibtisch saß.
    Die Begrüßung war typisch für ihn. Ich kraulte dem Tier den Nacken und wurde mit einem wollüstigen Schnurren belohnt. Es war ein gewaltiger Kater, langhaarig und sehr reizvoll gezeichnet mit seiner weißen Brust und den weißen Pfoten. Ich mochte zwar lieber getigerte Katzen, aber diese hier gefiel mir auf Anhieb. Es war ein freundliches Tier.
    »Hübsche Katze«, sagte ich. »Was fehlt ihr?«
    »Das Bein. Irgend etwas ist mit ihrem Bein nicht in Ordnung. Sie muß sich geschnitten haben.«
    Ich tastete mich durch das plustrige Haar hindurch, und als ich einen bestimmten Punkt am Bein berührte, zuckte das Tier zusammen. Ich holte meine Schere heraus und schnitt ein Stück Fell ab. Ich sah eine querverlaufende, ziemlich tiefe Wunde, aus der ein dünnes Sekret trat. »Es könnte ein Schnitt sein. Aber irgend etwas ist ungewöhnlich daran. Wie hat sie sich das beigebracht? Läuft sie viel im Hof draußen herum?«
    Der Mann nickte. »Ja, das tut

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