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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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sie ganz gerne.«
    »Dann hat sie sich vielleicht an einem scharfen Gegenstand geschnitten. Ich gebe ihr eine Penicillin-Spritze und lasse Ihnen eine Salbe da, mit der Sie die Wunde abends und morgens behandeln können.«
    Manche Katzen stellen sich bei Spritzen ziemlich an und wehren sich mit Krallen und Zähnen, aber diese hier rührte sich nicht und schnurrte sogar weiter.
    »Ein gutmütiger Bursche«, sagte ich. »Wie heißt er?«
    »Fred.« Walt Barnett sah mich ausdruckslos an. Der Name sagte mir nicht viel, aber das Gesicht von Mr. Barnett verbot weitere Fragen.
    Ich holte die Salbe aus meiner Tasche und legte sie auf den Schreibtisch. »Gut. Sagen Sie mir Bescheid, falls es nicht besser wird.«
    Ich erhielt weder eine Antwort noch ein zustimmendes Brummen noch gar ein »Auf Wiedersehn«. Und während ich über den Schrottplatz ging, ärgerte ich mich über Walt Barnett und sein flegelhaftes Benehmen. Aber bald vergaß ich meinen Ärger und dachte über den Fall nach. Irgend etwas an der Wunde war seltsam. Sie sah nicht aus wie eine Zufallsverletzung. Es war ein sauberer tiefer Schnitt wie von einer Rasierklinge. Da stimmte etwas nicht.
    Eine Berührung am Arm schreckte mich aus meinen Grübeleien hoch. Einer der Männer, die zwischen den Schrottbergen arbeiteten, sah mich neugierig an. »Sie waren eben beim Boss?«
    »Ja.«
    »Komische Sache, daß ein solcher Schuft sich Sorgen macht um eine Katze, nicht?«
    »Finde ich auch seltsam. Wie lange hat er sie schon?«
    »Ungefähr zwei Jahre jetzt. Es war ein Streuner. Eines Tages ist sie zu ihm ins Büro gelaufen, und ich dachte, er würde sie mit einem Fußtritt wieder nach draußen befördern, aber das tat er nicht. Statt dessen hat er sie behalten. Ich kann das nicht begreifen. Das Tier sitzt den ganzen Tag auf seinem Schreibtisch.«
    »Er muß sie gern haben«, sagte ich.
    »Der? Der hat nichts gern und niemanden. Er ist ein...«
    »He! Du! Geh an deine verdammte Arbeit!« brüllte Walt Barnett. Groß und drohend stand er in der Tür seiner Baracke und schwang die Faust zu dem Mann hin, der mit ängstlichem Blick davonging.
    So lebte dieser Walt Barnett – umgeben von Furcht und Haß. Seine Skrupellosigkeit war stadtbekannt, und obwohl sie ihn offenbar reich gemacht hatte, beneidete ich ihn nicht.
    Zwei Tage später rief er wieder an. »Kommen Sie sofort her. Sie müssen nach der Katze sehen.«
    »Ist die Wunde nicht besser?«
    »Nein, schlimmer. Machen Sie schnell.«
    Fred saß wie üblich auf dem Schreibtisch, und wieder schnurrte er, als ich ihn streichelte. Aber das Bein schmerzte jetzt offenbar mehr, und die Wunde war größer geworden. Der schmale Schnitt war unzweifelhaft länger, so als ob er um das Bein herumkriechen wollte.
    Ich hatte ein paar Instrumente bei mir und fuhr mit der Sonde vorsichtig in die Wunde hinein. Ich fühlte etwas, bekam es aber erst mit einer Pinzette zu fassen. Ich zog es vorsichtig hoch, und als ich die schmale braune Litze sah, wurde mir alles klar.
    »Er hat ein Gummiband ums Bein«, sagte ich. Ich schnitt es durch, zog es aus dem Fell und ließ es auf den Schreibtisch fallen. »Hier ist es. Jetzt wird’s bald heilen.«
    Walt Barnett fuhr mit einem Ruck in seinem Stuhl hoch. »Warum haben Sie das beim erstenmal nicht gefunden?«
    Ja, warum nicht? Ich hatte eben bei meinem ersten Besuch nur einen Schnitt in der Haut gesehen.
    »Tut mir leid, Mr. Barnett«, sagte ich. »Das Gummiband war ins Fleisch eingedrungen und unsichtbar für mich.« Es stimmte, aber ich war nicht stolz darauf.
    Er zog schnell an seiner immer brennenden Zigarette. »Und wie ist es dahin gekommen?«
    »Es muß ihm zweifellos jemand ums Bein gemacht haben.«
    »Und weshalb?«
    »Es gibt Leute, die sowas mit Katzen machen. Ich habe schon von ähnlichen Fällen gehört. Es gibt überall Leute, die zu Grausamkeiten neigen.«
    »Bestimmt einer der Burschen vom Hof.«
    »Nicht unbedingt. Fred läuft doch auch auf die Straße, nicht?«
    »Ja, oft.«
    »Nun, dann kann es praktisch jeder gewesen sein.«
    Es entstand ein langes Schweigen, während Mr. Barnett mit gerunzelter Stirn und halbgeschlossenen Augen dasaß. Ich fragte mich, ob er wohl die Liste seiner Feinde im Geiste durchging. Das würde einige Zeit dauern.
    »Jedenfalls«, sagte ich, »wird das Bein jetzt sehr schnell heilen. Und das ist die Hauptsache.«
    Walt Barnett streckte die Hand aus und fuhr mit seinem Wurstfinger langsam an der Seite der Katze entlang. Es war eine seltsame, ernste Geste,

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