Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht
über viele Jahrhunderte in der Einsamkeit des Waldes verbracht, die von Wölfen beherrscht wurden. Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als alle Wolfsgeschichten durchzublättern. Das Stichwort „Prinzessin“ kam am häufigsten, nämlich 458 mal vor, während „Prinz“ nur 292 mal genannt war. Ob man daraus den Schluss ziehen durfte, dass es in diesen einsamen deutschen Wäldern weit mehr Mädchen als Jungen gab? Das Stichwort „Frau ohne Beine“ oder „Kopfloser“ gab es in dieser Form nicht, wodurch Voodoo gezwungen war, sich in die einzelnen Geschichten zu vertiefen, in denen ein Wolf vor kam. Darüber vergingen fünf Stunden, und es war schon dunkel geworden, als er dann überraschend auf folgende Geschichte stieß, die er dann auch atemlos durchlas:
Der Wolf und der kopflose Hirte
Es war einmal ein Hirte, der war recht einsam. Er wünschte sich nichts lieber als ein Mädchen, das ihm ein Süppchen kochen und sein Bettchen wärmen könne. Doch er fand weit und breit keines. Und da er bei seinen Schafen bleiben musste, konnte er auch nicht in die Stadt gehen um eines zu freien. Eines Tages, als er auf der Erde saß und bitterlich weinte, hörte er ein Räuspern, und als er sich um sah, stand da ein Wolf und sagte: Fürchte dich nicht. Ich bin gekommen, um dir zu helfen. Mich reut dein Schicksal und ich kann nicht ruhen, bevor ich dir nicht drei Wünsche erfüllt habe. Da sprang der Hirte auf und nahm seinen Stock, um den Wolf zu vertreiben, doch der Wolf sprach so zierlich und fein, dass er über seine Worte nachzudenken begann und sagte: Dann ist mein erster Wunsch der, dass du auf meine Schafe aufpassen mögest, während ich in die Stadt gehe, um ein Mädchen zu freien. Der Wolf nickte mit dem Kopf und antwortete: Dein Wunsch sei dir gewährt. Und mein zweiter Wunsch, fuhr der Hirte fort, ist der, dass du keinem meiner Schafe während meiner Abwesenheit auch nur den geringsten Schaden zufügen darfst. Der Wolf nickte abermals mit dem Kopf und sagte: Dein Wunsch sei dir gewährt. Und mein dritter Wunsch ist der, dass du meiner Braut und mir bis an mein Lebensende dienen sollst und dabei alles tust, um zu unserem Glück beizutragen. Auch dieser Wunsch sei dir gewährt, sagte der Wolf nickend, aber du hast noch vergessen, mich etwas zu fragen. Und was muss ich dich fragen? wollte der Hirte wissen. Du musst mich fragen, was du mir im Tausch dafür geben wirst, damit ich dir diese drei Wünsche erfülle. Nun, was muss ich dir geben? fragte der Hirte. Da lachte der Wolf und sagte: Du gibst mir dafür, dass ich deine Schafe hüte und ihnen keinen Schaden zufüge und dir und deiner Braut bis an dein Lebensende diene das Recht, mit deiner Braut die erste Nacht zu verbringen. Da erschrak der Hirte, aber er sagte sich: Es wird einen Weg geben, mit dem ich um die Sache herum komme. Also gab er dem Wolf seinen Stab und sagte: Ab jetzt wirst du meine Schafe hüten und ihnen dabei kein Haar krümmen. Und ich werde in die Stadt gehen um meine Braut zu freien. Mit diesen Worten wandte er sich und lief über die Felder und über die Hügel auf der Suche nach einer Stadt, und sah dann auf einem der Hügel ein Schloss leuchten und unter dem Schloss einen kleinen Marktflecken und sagte sich: Dort werde ich meine Braut finden. Und als er dann an das Stadttor kam, stand es offen und überall waren die Menschen, denn es war an dem Tag Kirchtag, und auf dem Kirchtag gab es eine Schießbude, da winkte als Preis für den, der dreimal hintereinander das Herz mit der Schleuder treffen würde, das auf einer Laufbahn vorbei zog, der Kuss der Prinzessin. Von weit her waren die Freier gekommen, um diesen Preis zu ergattern, denn der König hatte eine Tochter, die war sehr schön, doch der König war sehr arm, und so veranstaltete er jedes Jahr einen Kirchtag, und ließ die Schießbude aufstellen, und jeder, der sein Glück versuchen wollte, musste einen Taler dafür geben. Kaum hatte der Hirte das Bild der Prinzessin gesehen, das auf eine Tafel gemalt war, juckte es ihn, auch sein Glück zu versuchen, doch das Gedränge vor der Schießbude war so groß, dass er eine Weile nur als Betrachter dort stand. Wohlweislich hatte er seine Schleuder mitgebracht und auch gut ausgesuchte Steinchen, denn er hatte schon anderswo gehört, dass man eine Braut nur dann erringen könne, wenn es einem auch gelänge, ihr Herz mit der Schleuder zu treffen. Und auch die anderen Freier, die ihn umdrängten, hatten alle ihre neuen
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