Voodoo Holmes: Botschafter der Nacht
nachts mit der Prinzessin allein gelassen würde und dass sich die Tore hinter ihnen schließen würden und er den Blick der Prinzessin sehen würde, der auf ihm lastete, den verzweifelten Blick einer Geliebten, die im tiefen Wasser versinkt, der war ihm unerträglich.
Also stiegen der Wolf und der Freier den Schlossberg hinauf. Sie verbargen sich zwischen Bäumen und Unterholz und kamen schließlich an die Felsen, und mussten dort warten, denn das Mondlicht war so hell, dass man sie von der Stadt aus gesehen hätte. Dann aber, als eine Wolke über den Mond strich, stiegen sie munter weiter, bis sie über den Fels zu den Schlossmauern kamen. Sie waren so hoch und so unüberwindlich, dass kein Mensch darüber hinweg geklettert wäre. Da machte sich der Wolf lang wie eine Leiter, reckte sich mit den Vorderpfoten hoch bis an die obere Grenze der Mauer, und der Hirte konnte an seinen Haaren, die er zu Büscheln fasste, ihm über den Kopf hinweg und an den Vorderläufen hoch bis an das obere Ende der Mauer klettern. Während er das tat, freute er sich und dachte: Wenn jetzt der Wolf da unten bleiben muss, wird es für die Prinzessin und mich einen anderen Weg geben, auf dem wir aus dem Schloss gelangen können, und er stellte sich vor, die Prinzessin in einer Kutsche hinunter ins Tal zu bringen, während der Wolf bellend wie ein kleines Hündchen hinterher lief und vergeblich nach den Rädern der Kutsche schnappte. Kaum aber befand er sich auf der Mauer, kauerte sich der Wolf unten zusammen und tat einen Sprung und kam fast bis an das obere Ende der Mauer, und machte das dann noch mal und versuchte es zuletzt mit großem Anlauf ein drittes Mal und kroch zuletzt erfolgreich neben den Hirten auf die Mauer und lief ihm bereits voraus zu den Verließen, wo der Hirte die Tochter des Königs vermutete. Doch die Verließe waren leer, und der Wolf sagte: Ich glaube, dass er sie im feinsten Gemacht einsperrt und sie dort auf Diwanen auf Seide schmachten lässt, und mästet sie dort recht fett für den Fall, dass ein steinreicher Kannibale auf Besuch kommt.
Und so gingen sie ungehindert über die Freitreppe hinauf und wollten gerade das große Tor öffnen. Das wäre ihnen auch ohne Weiteres gelungen, denn der König war zu arm, um sich Wachen halten zu wollen, und zu geizig, um Schlösser für seine Türen zu kaufen. Doch eine gute Fee hatte sich vorgenommen, das Schloss zu bewachen, nachdem die Königin jung gestorben war. Als nun also der Wolf schon ungeduldig seinen breiten Kopf durch den Türspalt schieben wollte, schwebte die Fee auf ihn zu und umgab ihn mit einem eisigen Hauch, der seine Pfoten lähmte. Er stand angefroren auf der Stelle, und sie lachte und sprach: Wolf, Wolf, wie oft werden wir dich hier noch sehen? Du alter Räuber, hast du es noch nicht aufgegeben, hier her zu kommen? Du wirst die Prinzessin nie sehen, komme was wolle, denn du kannst nicht lieben, und du weißt, dass diese Tür nur dann offen steht, wenn ein Liebender sie berührt. Da sagte der Wolf: Es geht hier nicht um mich, gute Fee. Heute bin ich nur der Begleiter eines Liebenden. Er hat sein Herz der Prinzessin geschenkt, er gehört ihr ganz an. Doch weil er sich im Dunkeln fürchtet, hat er mich gebeten, ihn hier her zu begleiten. Da schaute die gute Fee den Hirten an und sah, dass er voller Liebe war und fragte ihn: Stimmt das, was der Wolf gesagt hat? Dass du die Prinzessin liebst und ihr kein Haar krümmen wirst? Und der Hirte sagte: Ja, es ist so, und noch mehr. Und da lachte die gute Fee und ließ den Hirten und den Wolf in das Schloss gehen. Denn sie konnte dessen Tore nur dann versperren, wenn die Liebe fehlte.
Schon vom Schlosshof aus hörte man den König schnarchen, fern, am hinteren Ende des Kronsaals, wo er auf dem Thron eingenickt war. Und wenn man dort stand, hörte man ein feineres Schnarchen, das letztendlich in eine Kammer führte, in der die Prinzessin auf einem einfachen Bett ruhte und in Träumen befangen war. Das Licht einer Kerze brannte schummrig in dem Gemach, doch man konnte sehen, wie lieblich ihr Angesicht war und wie zart und wohlgebildet ihre Gestalt. Der Wolf sagte: "Hier ist es so gut wie an jedem anderen Ort", stürzte sich auf die Prinzessin und fraß sie mit Haut und Haaren. Ihr entsetzliches Schreien aber weckte die Schlafenden, und als sie nun alle erwachten und riefen, hörte man, dass es viele waren und sich in die Kammer der Prinzessin drängen wollten, um ihr zu Hilfe zu eilen, doch es war schon zu spät,
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