Voodoo Holmes Romane (German Edition)
einer unsteten Natur wie der Kaiserin ein Ding der Unmöglichkeit. Einmal reitet sie aus, bindet das Pferd an einem Baum und rudert in einem Nachen von dannen. Bis wir die Wasserwacht verständigen können, hat sie sich längst unserem Zugriff entzogen. Dann stellen Sie sich vor, eine Wanderung in der fränkischen Schweiz. Es geht durch liebliches Gebiet, gespickt mit Felsen. Einmal sieht man sie noch, dann taucht sie hinter einem Vorsprung ab. Als wir hinzukommen, ist sie wie vom Erdboden verschluckt. Und tatsächlich, es findet sich ein Loch, ein Gang, und bis man an sein anderes Ende gekommen ist, herrscht keine Spur. Diese Geschichten könnte ich Ihnen reihenweise erzählen. Tatsächlich ist es so, daß wir Elisabeth nun seit sieben Jahren verfolgen. Wir wissen, daß sie jeden Spätherbst in der Stadt auftaucht, und wir wissen, daß sie ihre Beschützer – denn was sind wir sonst – düpiert. Wie sie es macht und warum, das wissen wir nicht, hoffen aber, daß Sie uns dabei helfen können, Herr Holmes. Denn es kann dabei nicht mit rechten Dingen zugehen, soviel ist klar. Und nun im letzten Jahr dieser Mordfall. Aber urteilen Sie selbst.“
Ich hatte mich neben Holmes gesetzt, um ihm über die Schulter zu linsen, als er die einzelnen Schriftstücke durchging. Kurz zusammengefasst ging es dabei um Folgendes: In den frühen Vormorgenstunden eines Novembertages im vergangenen Jahr fand man in der Bamberger Innenstadt in einer Straße, die man die Lugbank nennt, eine Tote in einem prächtigen Abendkleid aus Seide, gehüllt in einen Nerzmantel. Die Stichwunde in ihrer Brust war ihr offenbar mit einem Dolche bereitet worden, der den Herzbeutel eröffnete und die Herzwand spaltete. Der Tod mußte zwischen Mitternacht, der Zeit, zu der in der Lugbank die Gaslaternen gelöscht werden, und irgendwann vor halb fünf Uhr morgens, dem Zeitpunkt der Auffindung der Toten, eingetreten sein. Aufgefunden wurde die Tote vom Fackelträger einer Gruppe von Geschäftsleuten, die solange in einer Kaschemme der nahegelegenen Sandstrasse gesessen hatten, die das Vergnügungsviertel der fränkischen Stadt bildet. Er stolperte über die Leiche, war tief erschrocken und es dauerte eine Weile, bis er seinen sternhagelvollen Herren den Ernst der Lage erklärt hatte, die aus Unmut über die Verzögerung dazu übergegangen waren, ihn mit Fußtritten zu traktieren. Was dem Fackelträger an Eloquenz und Scharfsicht mangelte, fehlte den Geschäftsleuten in dieser Stunde an Wahrnehmungsfähigkeit, weshalb ihre Zeugenaussagen wertlos sind. Was mit der Leiche bis 5 Uhr 48 passierte, als dann endlich die Polizeibeamten bei ihr eintrafen, und ob an ihr Manipulationen vorgenommen wurden, ist unklar. Fest steht, daß diese im Morgenlicht wie aufgebahrt auf dem Pflaster lag mit zugedrückten Augen und gefalteten Armen, in den Händen eine rote Rose. Noch am gleichen Morgen wurde die Tote von ihrer Dienstherrin identifiziert, der Gräfin Hohenems. Als dieser Name fiel, spürte ich einen Ruck, und es schien mir die Beleuchtung im Wagen heller geworden zu sein. So geht es Menschen in Europa, wenn sie das Wort „Gräfin Hohenems“ hören, denn jeder weiß, daß sich hinter diesem Pseudonym keine andere verbirgt als die Kaiserin der Donaumonarchie Österreich-Ungarn, Elisabeth, die größte Frau unserer Zeit, ein Stern am Himmel unserer Vorstellungskraft, unsterblich und leuchtend. Ihr rastloses Reisen ist ein Ausdruck dieser Abgehobenheit. Elisabeth ist keinem Menschen und keiner Sache verpflichtet, es reicht, daß sie existiert wie Orion oder der Große Wagen. Ich sah meinen Freund und mich durch die Erwähnung dieses Namens katapultiert in den Olymp der besseren Gesellschaft, in eine Welt entrückter
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