Voodoo Holmes Romane (German Edition)
Tätowierungen, dem Einbringen von Farbpigmenten in die Lederhaut, eine schon im Altertum praktizierte Methode zur dauerhaften Verschönerung von Körperteilen beziehungsweise zum Festhalten zentraler Botschaften wie die Initialen von Liebespaaren. Da eine Tätowierung nicht mehr ohne Verstümmelung entfernt werden kann, dient sie allerdings auch von jeher zur Markierung von Abhängigen, so auch von Sklaven. Durch die Verbindung mit Elisabeth erhielt die Tätowierung der Toten nun besondere Brisanz. Entweder sie war persönlicher, vielleicht sogar religiöser Natur – oder sie diente einer Organisation oder höheren Instanz dazu, die Tote als Ordenszugehörige oder Leibeigentum zu brandmarken. Handelte es sich also bei Mirja um eine Spionin der Organisation der Schlange, war sie vielleicht Mitglied der Schlangenbewegung zur Abschaffung des österreichischen Hochadels (die langen Schlangen an den Geschäften bei Versorgungsnotpässen hatten also nichts mit Anstellen zu tun, sondern waren Geheim-Zeichen wachsenden politischen Protestes), oder gehörte sie zur Schlangenbrigade der österreichisch-ungarischen Staatspolizei und war so etwas wie ein Leibwächter der Kaiserin gewesen? Stand denn die Tatsache, daß sie Serbin war, mit dem Attentat in Budapest in Verbindung. Was war bloß los mit diesen Serben? Weiter mit dem Tattoo: Es war natürlich auch möglich, daß Elisabeth ihren Dienstboten einen dementsprechenden Stempel aufdrückte, um damit anzudeuten, daß das Dienstverhältnis lebenslang und Desertion undenkbar wäre. Hier vermerkten die Beamten das Gerücht, auch Elisabeth selbst, die österreichische Kaiserin, trage Tätowierungen, eine Modeerscheinung in hochadeligen Kreisen, ein ironisches Zitat diverser Abhängigkeiten, als wollte sie mit einem Krönlein auf dem Allerwertesten sagen: Ja, ich gehöre meinem Franzi-Joseph zwar wie das liebe Vieh auf der Weide, aber die, die diese Zacken sehen, die Eingeweihten eben, die verstehen auch, wie sehr mich diese Rolle als Mutter der Völker längst nervt, und wie ich es satt habe, von meiner öffentlichen Aufgabe versklavt zu werden. Falsch wie eine Schlange heißt es ja auch.
„ Merken Sie?“ fragte Professor Beckstein dazwischen, „merken Sie, daß das Wichtigste fehlt? Kein Ton von den Rosenkreuzern, nichts.“
„ Den Rosenkreuzern?“ fragte Holmes.
„ Man muß vielleicht Bamberger sein, um das Wichtigste an diesem Fall zu begreifen“, fuhr der Professor eifrig dazwischen, „und davon steht hier kein Wort, vielleicht auch aus Ignoranz, oder mit Absicht, denn die Mitglieder der Kommission waren durchwegs Auswärtige, alles Münchner, bestechliche Naturen alle, die es nur zu etwas gebracht haben, weil sie ihre Seele verkaufen, und für die ist unsere Stadt selbst eine Stadt unter vielen, und das Netzwerk geschichtlicher Entwicklungen und Bedeutungen für die Analyse eines Mordfalls vollkommen unerheblich. So aber kann man keine Mordfälle lösen, soviel ist klar. Wenn man die Rose ignoriert, dann ignoriert man alles. Damit will ich nicht sagen, daß ich ob der Ignoranz der Behörden nicht Erleichterung verspürt hätte. In all der Zeit aber hoffte ich, daß man der Lösung des Rätsels einen Schritt weitergekommen wäre, und sei es nur, um einen weiteren Mord, der sich, wie mir schwant, unmittelbar anbahnt, zu verhindern.“
Holmes las gerade das letzte Blatt des Berichts. Ich stellte mit Überraschung fest, dass der Fall von den Behörden als gelöst bezeichnet wurde. Es habe an jenem Tag „einige fremde Elemente“ am Bahnhof der Stadt gegeben, die „nach vollbrachter Tat“ das „Weite gesucht“ hätten. Dabei hätten
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