Voodoo Holmes Romane (German Edition)
sind, alle irgendwelche Aufgaben hatten, jetzt aber auch alle nur auf den Zug warteten, körperlich absentiert, als verachte sie sie, oder lebe in einer anderen Welt. „Holmes, das ist sie!“ stieß ich meinen Freund an, der unterdessen vor dem Bahnhofsgebäude im Schutz des Vordachs saß und ein Zigarrchen schmauchte.
Er nickte schweigend. Ich spürte Unruhe und Zweifel in mir aufsteigen. Konnte es sein, dass wir keineswegs den Kopf der Krake abgehackt hatten, sondern nur eine unwichtige Gärtnerin getötet hatten und sahen die wahre Hexe noch unversehrt vor uns. Vielleicht war es die österreichische Kaiserin, vieleicht aber war es nur ihr ehemaliger Körper, den wir vor uns sahen, der längst regiert wurde von der Boshaftigkeit einer Körperfresserin. Das würde aber auch bedeuten, daß wir den Fall nicht gelöst hatten, und alles umsonst gewesen war, und wir wieder ganz von vorne anfangen mußten. Ich blickte sie an, wie sie dort ging, ein großer, schwarzer, prächtiger Vogel, und ihre Selbstsicherheit und Abgehobenheit sprach allem Hohn, wofür wir gearbeitet hatten.
„ Hört denn das nie auf!“ stöhnte ich, „alles schien so schön zu passen, und jetzt das?“
„ Ruhig, Watson“, sagte Holmes, und blies eine große Rauchschwade aus, die sich mit dem Nebel und dem Rauch einer brennenden Stadt vermengte. „Sie dürfen nicht den Fehler begehen, in allem ein Mysterium zu erblicken. Es ist doch durchaus standesgemäß und gewöhnlich, dass Kaiserinnen nicht von dieser Welt sind. Sie unterliegen definitionsgemäß nicht den Gesetzen der Menschen. Und deshalb dürfen Sie auch nicht fürchten, dass Taschenspieler, Jahrmarktkünstler und Wahrsagerinnen Gewalt über eine Kaiserin haben. Wenn man glauben sollte, mit einem kleinen Kniff, mit Donner und Doria und allerlei weiteres Allotria eine Kaiserin verhexen zu wollen, da muß man früher aufstehen. Ja, zweifelsohne, ich glaube es gern, dass die Hexe, die sich auf den Phönix berief, versuchte, auch die österreichische Kaiserin zu fressen, aber ich vermute, sie ist einer großen Täuschung erlegen, und ich glaube, sie hat die Grenzen ihrer Macht zu spüren bekommen. Tatsächlich wird der Mord am Dienstmädchen der Kaiserin der Rachlust einer kleinen Hexe geschuldet sein. Wie anders lässt sich erklären, daß sie den Leichnam vor einem Jahr achtlos vor das Haus werfen ließ? Es war das erste Mal, daß ihre schwarze Messe nicht verfangen hatte, in der Mirja das Opfer spielte. Der Phönix konnte die Dienstbotin der Kaiserin ermorden, und vielleicht schon deshalb, weil er schon zu Zeiten des römischen Reichs Symbol des Kaisers war, auf den sich auch Franz Joseph berufen kann. Gottesgnadentum hat den Phönix schon lange ersetzt. Wir leben in der Neuzeit, Watson! Die Fackeln der Vergangenheit sind längst überholt, wir beleuchten unsere Straßen mit Gas! Ja, der Phönix war nicht imstande, damit Elisabeth, die Mutter der Völker, zu berühren."
"Und die Rose in den Händen der Toten, Holmes?"
"Ich glaube, daß Elisabeth die Leiche gefunden und mit der Rose geschmückt hat. Der Fall mutet weit prosaischer an als Sie in Ihrem Rosenwahn vermuten, Watson. Der Himmel weiß, was sie hier jedes Jahr macht. Mein Instinkt ist der: Sie hat hier einen Liebhaber, dem sie eine Nacht schenkt, eine verrückte Nacht, nämlich den 11. November. Das Dienstmädchen trug unterdessen ihre Kleider, während Elisabeth in den Kleidern des Dienstmädchens, einer alten Vertrauten, den Geliebten aufsuchte. Und er schenkt seiner Geliebten jedes Jahr eine Rose. Das ist eine Kostbarkeit zu dieser Jahreszeit, und es bedarf großen Geschicks oder Vermögens, eine Rose dieser Schönheit vom Sommer bis in den Spätherbst zu bewahren.“
„ Woher wissen Sie das alles?“
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