Voodoo Holmes Romane (German Edition)
bislang wenig Bedeutung beigemessen, nun aber glaubte ich mehr darin zu lesen. Er hatte nämlich bemerkt, daß nach dem Tod von Lady Lidija, der erste Ehefrau unseres Gastgebers, sich am Himmel nächst dem Schloss zahlreiche Baumwölkchen eingestellt hatten. Diese waren ihm zuvor nur aus der Literatur bekannt gewesen, er hatte sie noch nie bemerkt, von nun an aber bestanden sie eine lange Weile. Insgesamt zählte er neun Monate. Als Arzt war diese Zeitspanne für mich natürlich mit Bedeutung getränkt, und so schien es mir auch möglich, eine Verbindung zum gewaltsamen Eindringen eines Eismenschen in die Schlafkammer einer Frau zu geben. Der Baum war ein Fruchtbarkeitssymbol, und auch eine junge Frau ist ein solches. Merkwürdig und sinnlos aber schien nur, daß statt eines Zeugungsaktes die Enthauptung einer Frau diese Fülle von Baumwölkchen ausgelöst haben sollte. Man konnte das eine mit dem anderen nicht in Deckung bringen. Tatsache aber schien zu sein, daß laut Shiffkowitz nach Ablauf jener neunmonatigen Periode erstmals wieder neu ein Schwertritter am Horizont aufgetaucht sei. Schwertritter und Baum schienen sich am Himmel auszuschließen, die übrigen Formationen bestanden durch all die Jahre. Es wird den Leser also nicht verwundern, daß ich augenblicklich Himmel und Horizont nach Baumwölkchen absuchte, die bislang in unserer Kartei nicht aufgetaucht waren. Der wolkenlose Himmel aber blieb unergründlich blau. Und was noch bedeutsamer war: Ich konnte an diesem Morgen keinen der schwarzen Vögel sehen. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden. Ich wies Holmes darauf hin, der leise lachte und meinte: „Und die verdammten Dinger konnten nicht einmal fliegen. Sie werden wohl alle im Meer ersoffen sein.“
Ich saß im Salon, wo das Frühstück gedeckt war und hatte Holmes nicht eintreten hören. Als ich mich umwandte, saß er bereits in einem der bequemen Sessel, die um den Samowar gruppiert waren, und rührte in einer Tasse Tee. Er hatte einen verschmitzten Gesichtsausdruck, und ich wusste, daß ich gleich seine Auslegung der Ereignisse der vergangenen Nacht bekommen würde. Um ihn etwas zu irritieren, setzte ich mich wortlos vor ihn hin, schenkte mir ebenfalls eine Tasse Tee ein aß Plätzchen und blätterte in einer drei Tage alten Ausgabe der „Evening Post“, ohne mich im Geringsten um ihn zu kümmern. Bald aber war meine Neugierde unerträglich geworden und ich blickte hinter der Zeitung hoch. „Was?“
„ Interessante Lektüre?“ fragte Holmes.
„ Gut, ich gebe es auf“, sagte ich, und legte das Blatt weg.
Holmes ließ sich Zeit, während er seine Pfeife stopfte. Es war im Salon angenehm warm geworden, die Sonne ließ die schweren Bordüren aufleuchten, und dort, wo die Sonne direkt durch das Glas hereinfiel, glitzerten in der Luft winzige Staubpartikel.
„ Haben Sie sich schon einen Reim auf das alles gemacht?“ fragte Holmes.
„ Nein, aber ... abgesehen davon, daß seine Lordschaft gestern Nacht wohl versuchte, mit Gewalt in die Kammer seiner Ehefrau einzudringen. Wenn wir dann nicht dieses – wir sollen wir es nennen?“
„ Den Eismenschen.“
„ Ja, wenn wir dann nicht den Eismenschen gefunden hätten, hätte ich behauptet, alles erkläre sich von selbst, die Cumberton-Shoyles seien eine Sippe von Triebtätern, die dazu neigen, ihre Ehefrauen zu enthaupten. Andererseits, das können sie immer noch sein, denn wenn die Tür offengestanden hätte, wäre Lady Elins Leben wohl in Gefahr gewesen.“
„ Nicht unbedingt“, widersprach Holmes. „Ich bin der Ansicht, daß seine Lordschaft wohl versuchte, ihr Leben zu beschützen. Es war nämlich zuerst in Lady Elins Kammer erheblicher Tumult entstanden, und als ich hinzukam,
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