Voodoo Holmes Romane (German Edition)
Weltgeschichte wäre also dann die Geschichte beständigen Raubens, und wer im Besitz des Grals ist, dem gehört die Welt. Deshalb sind die Häscher des Strein zur Sünnitz nach Paris gekommen. Sie wollen mit dem Gral das germanische Weltreich begründen.“
„ Sehr politisch, was Sie da von sich geben, Holmes“, meinte ich.
„ Man kann das auch mythologisch aufbereiten“, lenkte er ein. „Der Kelch stammt von Thor, ist göttlichen Ursprungs. Sein Leibgefäß, daß er braucht, um sich daraus zu erquicken. Der Kelch, den der König von Thule in die Wellen warf, wodurch Atlantis unterging. Schon ist es die Menschheit, die der Gottheit ihr Geheimnis abzwingt, um selbst zu herrschen.“
„ Schon besser“, meinte ich, „zumindest schrieb Elin diesem Kelch große Macht zu. Und das sie ihn an uns weitergibt, könnte auch bedeuten, dass sie es leid ist, ihn zu verstecken.“
„ Das würde dafür sprechen, daß sie Cumberton-Shoyle aus Not heiratete, um dem Festland und seinen Häschern zu entfliehen. Sie brachte den Kelch nach Tyne, um ihn dort unter all dem Gerümpel zu verstecken. Aber dass das Ungeheuer sie dort aufsuchte, ist das nicht der Beweis, dass der Kelch aus Thule für Thor wichtig ist? Wenn das stimmen sollte, dann hat sie ihn beraubt und ihn damit auch verlassen. Und uns – beziehungweise Ihnen, Watson – im Gegenzug ein bedeutsames Geschenk gemacht.“
Mir fiel in dem Zusammenhang etwas ein: „Holmes, ich habe Ihnen noch etwas zu sagen vergessen.“
„ Was denn?“
„ Elin erwähnte, es dürfe kein Bild von Thor entstehen.“
Ich merkte an seiner Reaktion, daß ihn diese Information sehr beeindruckte. Er klopfte dem Kutscher auf die Schulter und gab ihm eine neue Adresse.
„ Was soll das jetzt?“ fragte ich.
„ Wir fahren zum Polizeipräsidium. Aber erzählen Sie nur weiter.“
„ Mehr kann ich nicht berichten.“ Ich versuchte mich zu besinnen. „Es war im Borborygme“ , sagte ich, „und ich bat sie, mir etwas von ihrem Entführer zu erzählen, und das erste, das sie sprach, waren die Worte: Es darf kein Bild von ihm geben.“
„ Sie lehnte es ab, ihn zu beschreiben?“
„ Das stimmt nicht ganz. Sie beschrieb ihn wohl, in Andeutungen.“
„ Watson“, sagte er, „Sie sind ein verdammter Kerl.“
Es herrschte eine Weile Schweigen in dem Wagen, und dann hielten wir schon vor dem Präsidium. Holmes verschwand für eine kurze Weile in dem Gebäude, und als er wieder kam, blickte er auf die Uhr und rief: „Nun aber rasch, oder wir werden den Beginn der Vorstellung versäumen!“
Wir kamen an der Place Vendome vor das Lichtspieltheater, als es bereits dunkel geworden war. In der Vorhalle, als wir unsere Karten kauften, war es wie ausgestorben, und als wir dann in den Vorführraum gelangten, waren nur wenige Plätze besetzt. Umso erstaunlicher war einer der Zuschauer. Man konnte ihn nur als Schatten sehen, den er vor der flirrenden Leinwand abgab, aber man war sogleich von seiner Größe beeindruckt. Der Mann war ungewöhnlich grobschlächtig und überdimensional, man hatte den Eindruck eines Stieres in Menschenform, der sich zwischen den umso filigraner wirkenden anderen Zuschauern in die Sitzbank zwängte.
Holmes, der lautlos neben mir Platz genommen hatte, blickte mich triumphierend von der Seite an. „Das ist er, Watson“, flüsterte er mir zu.
Auf der Leinwand wurde der Film gerade beendet, und als zwischendurch die Lichter angingen, erkannte ich ihn auch. Wenn man den Eismenschen, der auf Tyne vor uns in Trümmern gelegen hatte, als Skulptur jenes Menschen ansah, der gerade vor uns das Lichtspieltheater betreten hatte, dann war er es tatsächlich. Bleich, fast wächsern, ein Körper, den man sich nackt vorstellen konnte als überdimensionale Skulptur eines Menschen. Die Kleider, die er trug, schienen
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